Die geschützten Männer
eine Entnahmekommission am 3. Juni um 19 Uhr nach Blueville kommen.
Das Schreiben ist von einem Dr. F. B. Mulberry unterzeichnet, Beauftragter der Bundesspermabank in Montpelier 1 . Der Brief ist hektographiert: nur mein Name ist mit der Maschine eingesetzt.
Ich schließe daraus, daß ich vielleicht nicht der einzige in Blueville bin, der diesen Liebesbrief erhalten hat, und ich vertraue
mich Stien und Jespersen mit vorsichtigen Worten an. »Habt ihr einen von Mulberry unterschriebenen Brief erhalten?« Diese
Formel gebrauche ich auch bei Pierce und Smith, deren Antwort verneinend ist, während Stien (dieser sehr besorgt) und Jespersen
bejahen und einwilligen, am Abend zu mir zu kommen. Warum zu mir? Weil ich in Erwartung von Anitas Besuch die Abhöranlage
in meinem Zimmer gesucht und gefunden habe; wie Joan Pierce kann ich sie nach Belieben abstellen.
Stien setzt sich auf mein Bett, den Hut auf dem Kopf (trotz seines dichten weißen Haars und der milden Temperatur), und Jess
nimmt auf meinem zweiten Stuhl Platz. Lange Pause. Stien brummelt teils jiddisch, teils deutsch, teils englisch vor sich hin,
und als ich ihn darauf aufmerksam mache, daß man ihn fast nicht verstehen kann, schleudert er mir unter seinen kampflustigen
Brauen aus seinen faltigen Lidern einen wenig freundlichen graublauen Blick entgegen, als ob ich für Mulberrys Brief verantwortlich
wäre.
»Soweit ist es schon wieder gekommen«, bricht es schließlich in schnellem, wenn auch deutsch gefärbtem Englisch aus ihm hervor.
»Da stecken wir wieder mittendrin in dieser alten Scheiße der Rassenhygiene! Wie in der Nazizeit! Ich hätte es mir eigentlich
schon denken können, als wir hier ankamen, bei diesem stinkenden Fragebogen über meine Vorfahren. Ralph, hüte dich stets vor
Leuten, die sich für deine Großväter interessieren! Entweder sind es Rassisten oder Rassenhygieniker! Und beide sind vom selben
Schlag.«
|141| »Du übertreibst«, sagt Jespersen. »So schlimm ist die Rassenhygiene auch wieder nicht. Zum Beispiel finde ich es vertretbar,
geschädigte Menschen zu sterilisieren.«
»Du hast eben keine Ahnung, Chemiker«, brüllt Stien. »Ad eins ist die Sterilisation wenig wirksam, die dominanten Schäden
treten durch Mutation wieder auf. Und die rezessiven Schäden können von gesunden Menschen übertragen werden. Und vor allem
mußt du wissen, daß die Sterilisation jedem Mißbrauch Tür und Tor öffnet. Ist dir bekannt, daß in Kalifornien, wo die Entmannung
von Sexualverbrechern erlaubt war – lange vor Bedford –, allein zwei Richter die Kastration von hundert Gefangenen verfügten.
Das waren Homosexuelle und Exhibitionisten.«
»Und woher weißt du das alles, Stien?« fragte Jess, als wunderte er sich, daß ein Biologe die Gesetze Kaliforniens kannte.
Stien zuckte die Achseln, runzelt die Brauen und sagt mit verhaltener Wut: »Weil ich ein dreckiger Jude bin mit einer langen
Nase und spitzen Ohren, die solche Mißstände schon von weitem aufspüren …«
Bei diesen Worten wendet er sich halb von Jess ab, als ob er ihn nicht mehr sehen wollte. Ich blicke ihn an. Sein Gesicht
ist von Falten überzogen, seine Augen sind zwischen den aufgeworfenen Lidern verschwunden, und von seinen herabhängenden,
zusammengepreßten Lippen verlaufen zwei bittere Linien zum kampflustigen Kinn.
»Hör zu, Stien, wir wollen nicht den Kopf verlieren. Im Augenblick geht es nicht darum, daß wir kastriert werden sollen, man
will uns nur Sperma abnehmen. Das ist das Gegenteil.«
Was habe ich da angerichtet! Stien straft mich mit seiner ganzen Verachtung.
»Du machst es dir zu einfach, Ralph«, sagt er dumpf. »Ka stration und Selektion sind nämlich nur die beiden Seiten ein und derselben Sache, der Rassenhygiene. Was macht ein Pferdezüchter,
wenn er die Rasse veredeln will? Er kastriert die Mehrzahl der männlichen Tiere und wählt ein, zwei Pferde als Zuchthengste
aus. Die Selektion beruht auf der Kastration.«
»Moment mal«, sagt Jess, »die Selektion führt aber gerade bei Pferden zu guten Ergebnissen.«
Stien wirft die Arme hoch und erhebt sich im Eifer des Gefechts von meinem Bett.
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» Herrgott
, wir sind doch keine Pferde! Wir sind Menschen! Wir sind freie Wesen! Niemand hat das Recht, uns wie Vieh zu behandeln! Niemand
hat das Recht zu sagen: aus dem da machen wir einen Ochsen. Und dem da nehmen wir Sperma ab, um unsere Kühe zu besamen!
Zum Donnerwetter!
Ich bin doch kein Stier!
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