Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
versuche, eine unbegreifliche Situation zu begreifen.
    »Wenn ich recht verstehe, schützt du mich durch deine Entscheidung für Paris vor einer Initiative Bedfords, aber nicht vor
     einer Initiative Helsingforths. Sie behält einige Handlungsfreiheit.«
    »Ja«, sagt Anita, »im Prinzip ist es so.«
    Als ich darüber nachdenke, bin ich erstaunt, Anita gegenüber mit solcher Selbstverständlichkeit eine Formulierung wie »du
     schützt mich« verwendet zu haben. Vor zwei Wochen hatte ich meine Kündigung eingereicht und war stolz auf meinen Mut, stolz
     darauf, Helsingforth »gezwungen« zu haben, sie abzulehnen … Welch kindliches Gehabe! In Wirklichkeit war ich nur ein frecher
     kleiner Junge, der straflos ausging, weil er »geschützt« wurde. Und mir wird schlagartig klar: mein freier Wille ist nur eine
     Illusion. Man hat aus mir eine Marionette gemacht, an deren Fäden drei Frauen ziehen: Bedford, Helsingforth, Anita. Von diesen
     drei Frauen bringt mir nur eine einzige Wohlwollen entgegen: diejenige, die wegfährt, um »mich zu schützen«.
    In diesem Augenblick fühle ich kaum noch den Schmerz um Anitas Abreise. Mich trifft etwas anderes, was noch schrecklicher
     ist: die Demütigung. Unter den Achseln, im Rücken, auf der Stirn bricht mir der Schweiß aus. In dieser Enge ist mir der Schweißgeruch
     lästig. Ich fürchte, daß er auch Anita stört. Ich stehe auf, ziehe meinen Morgenmantel aus, gehe ins Bad und dusche mich.
     Dann reibe ich mich mit Eau de Cologne ein. Während ich die Flasche halte, stelle ich fest, daß meine Hände zittern.
    |158| Als ich aus dem Bad komme, rät mir Anita, die Abhöranlage wieder einzuschalten, um die soeben geführte Aussprache zu wiederholen.
     Ich stimme zu. Es ist immer gut, »die Horcher zu belohnen«, wie Stien sagt.
    Diese »Szene«, deren Drehbuch wir vorher festlegen, enthält dennoch eine Doppeldeutigkeit, die mich in Erstaunen setzt. Bisweilen
     erscheint mir Anita aufrichtiger als zuvor, besonders als sie sagt: »Ich brauche dich nicht daran zu erinnern, wer ich bin,
     Ralph. Ich bin vor allem eine
career woman
1 , was nach meiner Auffassung einschließt: keinen Haushalt, keinen Mann, kein Kind.«
    »Wieso keinen Mann?« frage ich in dem Glauben, ihr Spiel mitzumachen.
    »Keinen Mann im klassischen Sinne des Wortes«, sagt sie mit einer Widerspenstigkeit, die mir nicht geheuchelt zu sein scheint.
     »Ralph, hast du unsere Vereinbarungen bereits vergessen? In Wirklichkeit haben wir mit gegenseitigem Einverständnis den Sinn
     der Ehe zerstört, auch wenn wir nach außen die legale Bindung aufrechterhielten.«
    In einem anderen Zusammenhang scheint Anita von ihren künftigen Funktionen mit mehr Feuer zu sprechen, als es das Drehbuch
     erfordert.
    »Ich habe einen Gipfel erreicht, Ralph. Es ist anstrengend, doch gleichzeitig berauschend, zu den drei oder vier Personen
     zu gehören, die das Vertrauen der Präsidentin besitzen. Ich habe gelernt, Ralph. Ich habe sehr viel gelernt. Und ich sage
     es ohne Überheblichkeit: ich bin der Aufgabe gewachsen, die man mir anvertraut …«
    Ich weiß nicht mehr genau, was ich antworte, sinngemäß wahrscheinlich: du opferst deinen Mann deiner Karriere. Übrigens eine
     blödsinnige Bemerkung: wie viele Männer haben ihre Frau der Karriere geopfert, nicht indem sie sie verließen, sondern indem
     sie sie praktisch aus ihrem Leben ausschlossen! Dennoch, während ich in dieser fingierten Aussprache recht und schlecht meine
     Rolle spiele, sehe ich Anita an und denke: da ist noch mehr als die Diktatur und die Erpressung Bedfords, mehr als die Notwendigkeit,
     mich zu schützen. Hier wird der Ehrgeiz eines ganzen Lebens in die Waagschale geworfen.
    |159| Schließlich kann der Vorhang in unserer Komödie fallen. Wie vereinbart, biete ich Anita die Scheidung an. Sie lehnt ab. In
     ihren Augen ist die Scheidung »genauso altmodisch wie die Ehe«. Wir einigen uns darauf, füreinander geschwisterliche Zuneigung
     zu bewahren. Aber die fleischlichen Bande sind endgültig zerschnitten. Anita wird mich nicht mehr in Blueville besuchen. Wir
     werden einander schreiben.
    Daraufhin schalte ich die Abhöranlage aus und habe kaum mein Bett erreicht, als sich Anita in meine Arme wirft, warm und bebend.
     Ich glaube, sie will sich Genugtuung verschaffen. Ich nicht. Ich fühle mich durch meine Abhängigkeit und durch die uns aufgezwungenen
     Lügen gedemütigt. Trotzdem reagiere ich, wie sie es wünscht: mein Körper scheint allein seinen

Weitere Kostenlose Bücher