Die geschützten Männer
eigenen Entscheidungen folgen
zu wollen.
Nachdem sich der Sturm gelegt hat, finde ich dennoch keine Ruhe. Ich liege auf dem Rücken und habe die Augen im Dunkeln weit
aufgerissen. Ich grolle Anita aus zweierlei Gründen, weil sie sich verweigert und weil sie sich hingegeben hat. Nach meiner
Meinung hätten wir uns bei unserem traurigen Abschied diese Umarmung sparen können.
Wenn der Zweifel einmal da ist, frißt er an allem. Ich frage mich jetzt, ob mir Anita unsere Trennung nur aus Feinfühligkeit
persönlich mitteilen wollte. Mit ihrer eigenen Stimme oder mit ihrem eigenen Körper? Alles deutet darauf hin, daß sie diese
letzte große Reise nicht umsonst hatte machen wollen. Erstaunlich, welche Gewalt sie über ihren Körper hat, der ein Eisklumpen
oder ein glühender Ofen sein kann. Aber immer hat sie sich und die Situation in der Hand.
Im übrigen ist ihre innere Spannung, ihre Nervosität wie weggeblasen. Neben mir liegt eine ganz andere Frau: ein entspannter
Geist in einem zufriedenen Körper. Zufrieden durch meinen Anteil. Lassen wir die guten Dinge des Daseins nicht ungenutzt,
auch wenn der andere im Morgengrauen aus deinem Leben verschwindet …
Ich muß einige Augenblicke eingeschlafen sein. Als ich aufwache, bin ich allein im Bett. Ich höre in der Küche Geräusche,
und als ich nachsehe, sitzt Anita, nur mit der Pyjamajacke bekleidet, an dem kleinen weißen Tisch. Sie ist dabei, ziemlich
hastig eine große Büchse Thunfisch hinunterzuschlingen, die sie in meinem Kühlschrank gefunden hat.
|160| »Setz dich, Ralph«, fordert sie mich auf, an meinem eigenen Tisch Platz zu nehmen. »Ich habe mir erlaubt, den Thunfisch aufzumachen.
Willst du auch?« fragt sie, fast bedauernd.
»Nein, ich habe keinen Hunger.«
»Ich ja«, sagt sie erleichtert, daß sie den Fisch nicht mit mir teilen muß. »Wo hast du diesen Thunfisch her?«
»Aus der Kantine. Ich habe den Eindruck, man will uns allmählich daran gewöhnen, daß wir zu unserer Kost selbst beizusteuern
haben, obwohl man uns für die Mahlzeiten täglich einen erheblichen Satz von unseren Gehältern abzieht.«
Doch was in Blueville geschieht, berührt Anita nicht. Sie interessiert sich lediglich dafür, was sie in Paris zu erwarten
hat. Um mir klarzumachen, welche bedeutende Rolle sie dort spielen wird, erläutert sie mir mit vollem Mund die internationale
Lage. Ihr Bericht ist für mich äußerst interessant. In den Zeitungen, die wir in Blueville bekommen, steht nichts, absolut
nichts darüber, was jenseits unserer Grenzen geschieht. Man könnte meinen, daß die Chefs der Auslandsredaktionen der großen
Zeitungen gleichzeitig mit ihren Sonderkorrespondenten gestorben und die großen Nachrichtenagenturen verschwunden sind. Absolutes
Schweigen.
Ein gewolltes Schweigen, sagt mir Anita, denn das Land hat sich noch nie in einer so schwierigen Situation befunden. Gleich
bei Ausbruch der Epidemie starben die Marineinfanteristen, die Piloten und Soldaten, die das Pentagon mit großem finanziellen
Aufwand auf Hunderten von Stützpunkten in allen Teilen der Welt stationiert hatten, in solchem Ausmaß und in so kurzer Zeit,
daß alle übrigen abgezogen werden mußten. Man wollte wenigstens verhindern, daß das gesamte Material, über das sie verfügten,
in die Hände der Einheimischen fiel. Trotzdem ließ sich nicht vermeiden, Flugzeuge, Geschütze, Panzer und sogar supermoderne,
in Thailand gelagerte Atomwaffen zurückzulassen. Und man fragt sich, ob unsere ehemaligen Verbündeten sie nicht an die Chinesen
verkauft haben.
Die politischen Folgen dieses Rückzugs waren unübersehbar. In den darauffolgenden acht Tagen stürzten alle vom State Department
aktiv unterstützten ausländischen Regierungen, insbesondere in Südostasien und Lateinamerika. An ihre Stelle traten nationalgesinnte
Regimes, die zwar längst nicht alle |161| kommunistisch sind, aber eines gemeinsam haben: Ressentiment und Mißtrauen gegenüber den Vereinigten Staaten.
Darüber hinaus blickt das Ausland, angefangen mit dem benachbarten Kanada, beunruhigt und ablehnend auf das Bedford-Regime,
dessen diktatorischer Charakter häufig auf harte Kritik stößt. In der kanadischen Presse, die sich ihre Freiheit bewahrt hat,
wird Bedfords antimännlicher Sexismus in versteckter Form mit dem Rassismus der Nazis verglichen. Die gegenüber der Bedford-Administration
am kritischsten eingestellten kanadischen Zeitungen werden zu Tausenden an
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