Die geschützten Männer
verschiedenen Punkten der Grenze von Schmugglern
eingeschleust und gehen in den Vereinigten Staaten heimlich von Hand zu Hand, obwohl sie verboten sind.
Die Situation in Europa ist für das Weiße Haus noch besorgniserregender. Die Epidemie ist dort später ausgebrochen, ihre Ausbreitung
eher bekämpft worden. Durch einen Cordon sanitaire hat sich Europa schnell von den USA abgeriegelt. Die Vereinigten Staaten
mußten ihre in Deutschland stationierten Streitkräfte abziehen. Die westeuropäischen Nationen standen der UdSSR plötzlich
allein gegenüber. Nach dem ersten Schrecken beruhigten sie sich allmählich, und es kam ein Modus vivendi zustande, der sich
für Europa als überaus nützlich erwies. Die von einer Art französisch-deutschem Kondominium beherrschte Europäische Gemeinschaft
ist im Begriff, sich den Markt der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten des Ostens zu erschließen.
Was Frankreich betrifft, macht Anita auf einen wichtigen Punkt aufmerksam: es ist das einzige westeuropäische Land, dessen
Präsident noch ein Mann ist. Er heißt Emmanuel Defromont. Im nächsten Monat wird er achtundachtzig Jahre alt. Uns Amerikanern
scheint das ein ziemlich hohes Alter zu sein … Jedoch hat Frankreich in Augenblicken der Krise immer gern Greise an die Spitze
gestellt. Als Clemenceau 1917 an die Macht kam, war er sechsundsiebzig Jahre alt. Pétain wurde mit vierundachtzig Staatschef,
und de Gaulle trat mit neunundsiebzig Jahren zurück. Die Vorliebe für das Greisenalter gehört zu den beständigsten politischen
Traditionen Frankreichs, unterstreicht Anita.
Als die Epidemie in Frankreich auftrat, fiel sie mit den Präsidentschaftswahlen zusammen, und Defromont wurde auf Grund seiner
politischen Erfahrung und seines Alters gewählt. Nach |162| seiner Wahl löste er unverzüglich die Abgeordnetenkammer auf und schrieb Neuwahlen aus. Doch gestattete er den Abgeordneten
nicht, ihre Vertreterinnen selbst zu bestimmen. Das überließ er den Wählern jedes Wahlbezirks, wo es jeweils zwei völlig voneinander
unabhängige Abgeordnete gab, der eine männlichen, der andere weiblichen Geschlechts. Die weiblichen Abgeordneten vertraten
meist eine konservativere Tendenz, womit der gerissene Defromont gerechnet hatte. Er war sich darüber im klaren, daß er in
der Kammer nur über eine schwache Stimmenmehrheit verfügte, und hoffte, daß seine zunehmend auf den Frauen beruhende Mehrheit
durch das Sterben der Männer wachsen würde. Defromont wußte, wie stark der Vaterkult bei den Französinnen seit de Gaulle verwurzelt
war.
Alles verlief erwartungsgemäß. Als Chef eines Präsidialregimes, das sich auf eine ihm bedingungslos ergebene Mehrheit stützte,
verfügte Defromont schließlich über genausoviel Machtbefugnisse wie Bedford. Er gebrauchte sie aber nicht auf die gleiche
Weise. Er tastete die individuellen Freiheiten nicht an und respektierte insbesondere die Pressefreiheit. Nichtsdestoweniger
zog ihn die Presse in den Dreck und kritisierte überaus böswillig alles, was er tat, darunter auch die drakonischen, letzten
Endes aber recht wirksamen Maßnahmen, die er getroffen hatte, um die Epidemie in Frankreich einzudämmen.
Defromont war groß und stattlich, hatte breite Schultern, welliges graues Haar und einen schneeweißen Bart. Er ähnelte tatsächlich
Gottvater oder zumindest dem Bild, das man sich im Volk von ihm macht. Aber er war auch ein typischer Franzose, hatte eine
ausgesprochene Vorliebe für gutes Essen, für gute Weine, für Frauen, für Zitate klassischer Autoren und für Reden. Allerdings
liebte er alles in den rechten Maßen, und die Mäßigung war das Kriterium seiner Urteile. Daher seine ausgeprägte Antipathie
gegen Bedford.
Für Defromont verkörperte die amerikanische Präsidentin die nicht zu überbietende Maßlosigkeit und den Gipfel des Exzesses.
Privat erinnerte er immer wieder an jene Phase aus Bedfords Karriere, da sie in Washington mit einem Plakat durch die 14.
Straße zog, auf dem zu lesen stand, daß sie lesbisch sei. Nicht, daß Defromont, der kultivierte Hellenist, irgendwelche Feindschaft
gegenüber den Homosexuellen hegte. Im Gegenteil, er hatte eine aus dem Jahre 1945 stammende Verordnung annullieren |163| lassen, die sie in Frankreich unter Strafe stellte. Doch fand er es in höchstem Grade geschmacklos, auf der Straße sein eigenes
Sexualleben auszuposaunen. »Stell dir vor, Constance«, sagte er zu seiner Frau,
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