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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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»Napoleon wäre durch die Straßen Ajaccios
     mit einem Schild gezogen: Ich laß am liebsten an mir lutschen! Nicht einmal die Korsen hätten ihn ernst genommen.«
    Wir haben diese Einzelheiten von der Zimmerfrau Madame Defromonts. Diese Agentin hieß Agnes. Sie hat uns damals sehr große
     Dienste geleistet; in der Folge aber erfaßte sie Zuneigung zu dem alten Mann. Sie beichtete ihm alles, lief zu ihm über und
     speiste uns mit falschen Informationen ab.
    Als die Statistiken den Nachweis erbrachten, daß Frankreich seit Ausbruch der Enzephalitis 16 unvergleichlich geringere Verluste
     an männlichem Leben als die Vereinigten Staaten und sogar als die übrigen europäischen Länder hatte, trat Defromont, ohne
     das Ende der Epidemie abzuwarten, mit der Behauptung auf, er habe Frankreich gerettet. Nicht zufrieden damit, Gottvater zu
     ähneln, hielt er sich schließlich für Gottvater – ohne jedoch seinen Sinn für Humor und seinen historischen Spürsinn einzubüßen.
     Darin ist er wie ein Fuchs, sagt Anita. Defromont hat allen benachbarten Staaten eine bestimmte Auffassung von Frankreich
     »verkauft« und sie von der Überlegenheit seines Landes in allen Dingen überzeugt. Sogar die Deutschen schwimmen jetzt in seinem
     Kielwasser. Kurzum, was gut für Frankreich ist, ist gut für Europa! Und wenn die Dinge weiter einen solchen Verlauf nehmen,
     wird es Defromont – dank seinem Stil! – gelingen, ein europäisches Europa unter französischer Vorherrschaft zu schaffen: eine
     Perspektive, die für uns nichts Erfreuliches hat.
    Zwischen uns und Defromont schwelte der Konflikt also schon. Seltsamerweise kam er wegen Kuba zum Ausbruch.
    Als die Epidemie die US-Armee zu dezimieren begann, zog Bedford, wie überall, ihre Truppen auch aus Guantánamo ab, jenem kubanischen
     Stützpunkt, den die USA zu Beginn des Jahrhunderts »übernahmen«, nachdem sie die Insel vier Jahre lang militärisch besetzt
     hatten. Bedford betonte, der Rückzug sei zeitweilig, die USA würden trotz allem nicht auf ihre Rechte verzichten. Aber selbstverständlich
     faßte Fidel Castro das anders auf. Seit 1959 schon forderte er die Rückgabe dieses Teils seines Territoriums, und sobald die
     Basis geräumt |164| war, ließ er sie von den revolutionären bewaffneten Kräften besetzen. Bedford protestierte: Castro verletze den Vertrag von
     1903, die Basis müsse zumindest entmilitarisiert bleiben.
    Fidel Castro antwortete in einer Rede, die er auf der Plaza de la Revolución in Havanna zu Füßen jener Säule hielt, die zu
     Ehren José Martís errichtet worden war. Er sagte, er kenne das »Monstrum« (er meinte die USA) sehr genau, auch wenn er nicht
     wie José Martí »in seinen Eingeweiden gelebt« habe; infolgedessen kenne er seine Raubgier. Er unterstrich, daß man durchaus
     alle vier Jahre den amerikanischen Präsidenten auswechseln könne, einen »Demokraten« gegen einen »Republi kaner «, einen blonden gegen einen dunkelhaarigen, einen großen gegen einen kleinen, und daß man sogar sein Geschlecht auswechseln
     könne (Gelächter); eines aber ließe sich durch solche Wahlen nicht auswechseln: der Yankee-Imperialismus! (Stürmischer Beifall.)
    Fidel Castro, der gerade eine Grippe überstanden hatte und sich an jenem Tage sehr erschöpft fühlte, sprach nur vier Stunden.
     Seine Schlußfolgerung war unnachgiebig und geschickt; durch die Besetzung Guantánamos habe er lediglich auf einem Teilgebiet
     kubanischen Bodens Kubas Souveränität wiederhergestellt. Gleichzeitig verkündete er feierlich, der Stützpunkt Guantánamo werde
     in Zukunft keiner ausländischen Macht, auch keiner befreundeten, verpachtet oder überlassen werden.
    Dieser Vorsatz zielte auf die UdSSR und sollte das Pentagon beruhigen, doch das Pentagon glaubte niemandem, nicht einmal sich
     selbst. Bedford drängte darauf, gegenüber dem führenden Mann Kubas Repressalien anzuwenden. Möglicherweise hätte Bedford darauf
     verzichtet, wenn nicht einer unserer Agenten in Havanna uns eine Tonbandaufnahme der Rede Fidel Castros verschafft hätte –
     zum Nachteil der Tauben aus Bedfords Umgebung.
    Bedford hörte die Rede und gleichzeitig die Simultanübersetzung. Als Insel war Kuba leichter als der übrige Teil Lateinamerikas
     vor der Epidemie zu schützen, und nach dem Stimmengewirr der Kundgebungsteilnehmer in Havanna zu schließen, war dort offensichtlich
     eine Unzahl Männer versammelt. Das Gebrüll dieser entfesselten Mannsbilder hatte auf Bedford eine

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