Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Gefühle: er liebt Anita nicht. Ich sehe ihn an, doch er hebt seinen Kopf nicht. Er geht einen Meter von mir entfernt mit undurchdringlichem
     Profil und beschleunigt seine Schritte, um mit mir auf gleicher Höhe zu bleiben.
    »Nein«, sage ich nach einer Weile.
    Keine Reaktion. Kein Blick. Kein Zucken mit den Wimpern.
    Und nachdem ich dieses Nein ausgesprochen habe, erscheint mir alles noch trostloser, einschließlich der erdrückenden Wolkenschicht
     über uns.
    Wir sind zwanzig Meter vom Schloß entfernt. Ich habe nicht bemerkt, wie Dave sich mir genähert hat. Und plötzlich spüre ich
     in meiner Rechten seine kleine warme Hand. Ich drücke sie. Ich sehe Dave nicht an. Es ist sinnlos, er wird schweigen. Ich
     passe meinen Schritt dem seinen an. Wir gehen zusammen.

[ Menü ]
    |171| ACHTES KAPITEL
    Anita verläßt mich Donnerstag um sechs Uhr morgens, als ich noch schlafe. Beim zweiten Sirenengeheul, um acht Uhr, bin ich
     im Labor. Und dort tritt ein Ereignis ein, dessen Bedeutung ich ahne, ohne seine Tragweite ganz zu erfassen. Ich finde folgende
     Nachricht auf meinem Schreibtisch:
     
    ACHTUNG. HEUTE FRÜH ZWISCHEN 7.25 UHR UND 7.30 UHR IST DIE ABHÖRANLAGE IN IHREM ZIMMER ÜBERPRÜFT ODER VERÄNDERT WORDEN. VERBRENNEN
     SIE DIESEN ZETTEL.
    DER IGEL
     
    Die Nachricht ist in großen Druckbuchstaben geschrieben, aber ich kann mir sofort denken, wer der Verfasser ist. Ich gebe
     Burage in unseren Streitereien den Spitznamen »der Igel«. Burages Zimmer in der Baracke der alleinstehenden Frauen liegt meinem
     Zimmer gegenüber. Da ich an diesem Morgen früher als gewöhnlich fertig war, habe ich meine Wohnung um sieben Uhr zwanzig verlassen.
     Ich habe mir die Zeit gemerkt, weil ich meiner gewohnten Zeiteinteilung voraus war. Irgend jemand muß das dem Techniker –
     oder der Technikerin – des Abhördientes sofort, nachdem ich meine Unterkunft verlassen hatte, gemeldet haben. Burage hat von
     ihrem Fenster aus seine Ankunft beobachtet und aus der Dauer seines Aufenthalts in meinem Zimmer Rückschlüsse auf die Tätigkeit
     des Technikers und deren Umfang gezogen. Offenbar war es nur eine Kleinigkeit gewesen, denn es dauerte ganze fünf Minuten.
     Und weil ich dazu aufgefordert werde, will ich mich mit aller gegebenen Vorsicht überzeugen. Was den Schlüssel zu meiner Unterkunft
     betrifft, ist die Sache klar: Die Reinigungskräfte haben einen zweiten.
    Wenn diese Warnung wirklich von Burage stammt, habe ich für den Hergang eine einleuchtende Erklärung. Burage hat einen Schlüssel
     zu meinem Arbeitszimmer im Labor. Sie ist einige |172| Minuten nach mir in die Cafeteria gekommen und muß offensichtlich eher weggegangen sein, um die Warnung zu schreiben, sie
     auf meinen Schreibtisch zu legen und die Tür wieder abzuschließen.
    Eins wundert mich daran: warum hat sie mir geschrieben, anstatt mit mir zu sprechen? Wegen der Abhöranlage in meinem Arbeitszimmer?
     Burage schien sich davon niemals einschüchtern zu lassen. Wenn sie Streit mit mir sucht, verhehlt sie in keiner Weise die
     persönliche Note, die sie in unsere Beziehungen hineingetragen hat. Wenn Burage – vorausgesetzt sie war es – ein Risiko eingegangen
     ist, um mich zu warnen, so ist das ein begrenztes Risiko. Es vergingen auf jeden Fall nur wenige Minuten zwischen ihrer Ankunft
     im Labor und meinem Eintreffen; von ihrem Arbeitszimmer aus konnte sie meine Tür beobachten, um sicher zu sein, daß keine
     dritte Person einen weiteren Schlüssel besitzt, was im übrigen kaum wahrscheinlich ist.
    Bleibt der Beweggrund: warum verrät Burage, die sich im Labor wie eine Vertrauensperson der Machthaber von Blueville aufführt,
     ihre Chefs, um mich zu warnen?
    Die leichteste, romantischste und klischeehafteste Antwort ist, daß sie mich liebt. Ich bin nicht so eitel, es wirklich zu
     glauben. Ich weiß, daß Burage mir ein gewisses Interesse entgegenbringt. Aber ich bin sicher, es ist nicht so stark, daß sie
     deswegen die Fronten wechselt. Das ist nicht ihre Art. Keineswegs. Ich weiß nicht, wie ich diese Vermutung rechtfertigen soll,
     doch ich spüre, daß sie mit ihrer ganzen Person hinter den Dingen steht, zu denen sie sich bekennt.
    Sollte diese Warnung eine Falle sein? Aber warum sollte mir Burage eine Falle stellen? Seit unserer großen Aussprache ist
     das Arbeitsteam, im wesentlichen dank Burage, zusammengewachsen, es geht im Labor und mit unserer Forschungsarbeit voran.
     Und zwischen Burage und mir gibt es mehr als die von mir

Weitere Kostenlose Bücher