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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Gesprächspartner.«
    Nichts. Kein Ton. Eine tote Leitung. Endloses Warten. Meine Knie werden weich. Ich gehe nicht so weit, in einem von Mr. Barrows
     schwarzen Kunstledersesseln Platz zu nehmen, sondern setze mich auf seinen Schreibtisch, was in gewissem Sinne viel respektloser
     ist, wie mir später bewußt wird. Im Augenblick ist mein Kopf leer, meine Schläfen hämmern, und ich stelle fest, daß meine
     Hand, in der ich den Hörer halte, nun auch schwitzt.
    Ich muß mich in diesen wenigen Sekunden an die Stille gewöhnt haben, denn ich fahre hoch, als sie unterbrochen wird. Mann
     oder Frau, ich kann es im ersten Moment nicht sagen. Mich trifft vor allem die Lautstärke dieser Stimme. Sie dröhnt in meinem
     Kopf, als wollte sie von mir Besitz ergreifen.
    »Dr. Martinelli?«
    »Ja.«
    »Sind Sie in Mr. Barrows Büro?«
    »Ja.«
    Pause.
    »Hier Hilda Helsingforth. Die gesattelte Schuschka wird Punkt vierzehn Uhr in ihrer Box für Sie bereitstehen. Sie sitzen auf
     und reiten zum Kontrollposten. Die Wache ist benachrichtigt. Eine Milizionärin wird Sie begleiten. Ende.«
    Sie hängt auf. Ich bin nicht dazu gekommen, ein Wort zu sagen. Außerdem wäre ich absolut nicht imstande gewesen, den Mund
     aufzumachen. Meine Lippen kleben aufeinander. Mein Mund ist plötzlich wie ausgetrocknet. Ich stehe auf. Einige Sekunden lang
     stütze ich mich mit beiden Händen auf den Tisch. Als ich hinausgehe, sehe ich von Mr. Barrow keine Spur.
    Ich gehe zu den Toiletten. Glücklicherweise ist dort niemand. Ich drehe einen Hahn mit kaltem Wasser auf und klatsche meine
     nassen Hände kräftig auf die Wangen. Ich trockne mich ab, hole ein paarmal tief Luft, während ich auf und ab gehe. Jedesmal
     wenn ich am Spiegel vorbeikomme, werfe ich einen kurzen Blick hinein. Aber ich finde mich noch zu blaß, um in die Cafeteria
     zurückzukehren.

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    |206| ZEHNTES KAPITEL
    Als ich auf Schuschka am Wachtturm erscheine, reicht mir der Posten mit spitzen Fingern meine Marke, und die gesamte Wachmannschaft
     verfolgt von einem Fenster der Baracke aus diese Szene. Zehn Schritt weiter wartet Jackie, genau wie der Posten in einer knappsitzenden
     blaugrünen Uniform, mit umgehängtem Gewehr und mit einem Revolver am Koppel. Sie reitet einen graugesprenkelten Wallach, der
     Schuschka wie alle verschnittenen Pferde Widerwillen einflößt. Die Stute legt die Ohren an, und ich lasse sie sofort meine
     Hand spüren, um ihren Initiativen zuvorzukommen. Mich persönlich setzt Jackies Anwesenheit in Erstaunen. Gestern hatte ich
     vom
Wir
erfahren, daß man Pussy aus Blueville entlassen hatte. Ich war darauf gefaßt, ihre Kollegin nach all den verbotenen Redereien
     mit Stien, Jess und mir den gleichen Weg gehen zu sehen. Aber nein, da ist sie, kräftig und robust wie eh und je, mit einer
     Mission betraut, deren Wichtigkeit, ihrer undurchdringlichen Miene nach zu urteilen, ihr bekannt ist. Und ich bin auch sicher,
     daß Jackie die einzige ist, die weiß, wohin ich gebracht werde. Beim Passieren des Wachtturms ist mir keineswegs entgangen,
     daß der Posten meinen einsamen Ausflug ungewöhnlich fand.
    »Sie schlagen den gewohnten Weg ein, Doktor«, sagt Jackie, als ich meine Marke eingesteckt habe. »Ich folge Ihnen.«
    Sie hat laut und im Befehlston gesprochen, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
    Der gewohnte Weg ist vermutlich der, den wir bei unseren sonntäglichen Ausflügen zu Pferd nehmen. Ich habe das unbehagliche
     Gefühl eines Häftlings, den eine bewaffnete Eskorte vor sich her treibt. O nein, ich will nichts dramatisieren. Mein Aufbruch
     aus der Cafeteria erfolgte öffentlich vor aller Augen, und ich glaube nicht, daß meine persönliche Sicherheit vorerst auf
     dem Spiel steht. Aber trotzdem habe ich die schwerbewaffnete Jackie im Rücken. Ich selbst habe noch nicht einmal ein |207| Taschenmesser, um mich zu verteidigen, und wir sind allein und gelangen immer tiefer in einen Wald, in dem wir bei unseren
     Ausflügen bisher noch nie einer lebenden Seele begegnet sind.
    Obendrein ist es ein düsterer Junitag. Seit zwei Tagen hat es pausenlos geregnet, und obwohl der Regen gegen Mittag aufgehört
     hat, kann man die nachfolgende Aufheiterung nicht als solche bezeichnen. Am Himmel türmen sich bis zum Horizont schwere schwarze
     Wolken auf, die über den Tannen hängenbleiben und jeden Augenblick platzen können. Der Weg besteht Gott sei Dank aus Sand
     und Kies und hält Schuschkas Hufen stand, doch ein Gewirr von unerschöpflichen

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