Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
literarischen Nachlasse und litte nicht, daß das Gedächtnis eines großen Schriftstellers durch einen habsüchtigen Verleger besudelt werde, der lange nach dem Tode eines Mannes solche Werke sammelt und herausgibt, die der Lebende zur Vergessenheit verurteilt hatte.« »Und ich,« fuhr die Favorite fort, »möchte ihm eine kleine Anzahl angesehener Männer nachweisen, wie z.B. Herrn Ricarie, die er mit Ihren Wohltaten überhäufen könnte. Ist es nicht erstaunlich, daß dieser arme Junge keinen Heller hat, während der köstliche Chyromant der Manimonbanda jährlich tausend Zechinen aus Ihrer Schatzkammer erhält?«
»Gut, Madam,« antwortete Mangogul, »Herr Ricarie erhält künftig ebensoviel aus meiner Schatulle zum Lohn für die Wunder, die Sie mir von ihm erzählen.«
»Herr Ricarie,« sagte die Favorite, »ich muß auch etwas für Sie tun. Ich opfre Ihnen die kleine Empfindlichkeit meiner Eigenliebe. Ich vergesse, zum Dank für die Belohnung, die Mangogul Ihnen soeben bewilligte, die Beleidigung, die er mir zufügte.«
»Darf man fragen, Madam, worin diese Beleidigung besteht?« sagte Mangogul.
»O, gnädiger Herr, das sollen Sie erfahren. Sie selbst verwickeln uns in ein Gespräch über die schönen Wissenschaften. Sie leiten es ein mit einer kleinen Rede über die neuere Beredsamkeit, die nicht eben schön ist, und da man aus Gefälligkeit gegen Sie sich eifrig bemüht, das triste Gespräch, das Sie angefangen haben, fortzusetzen, überfällt Sie Langeweile und Gähnen. Sie werfen sich auf Ihrem Lehnstuhl hin und her, verändern hundertmal Ihre Lage, ohne eine einzige bequeme zu finden, werden es endlich überdrüssig, die schlechteste Haltung der Welt länger beizubehalten, fassen einen raschen Entschluß, stehen auf und verschwinden. Und wohin gehen Sie wieder? Vielleicht ein Kleinod anzuhören!«
»Ich gebe die Tatsache zu, Madam, finde aber darin keine Beleidigung. Wer bei guten Sachen Langeweile empfindet und sich mit schlechten unterhalten kann, leidet selbst am meisten darunter. Dieser ungerechte Vorzug benimmt dem Verdienste dienste nichts, das er vernachlässigt; er allein erklärt sich dadurch für einen schlechten Richter. Dem könnt’ ich noch hinzufügen, Madam, daß, während Sie sich mit Selims Gespräch beschäftigten, ich mir eben so vergebliche Mühe gab, Ihnen ein Schloß zu verschaffen. Muß ich aber dennoch schuldig sein, da Sie es einmal ausgesprochen haben, so erklär’ ich Ihnen, daß Sie auf der Stelle gerächt wurden.«
»Wieso?« fragte die Favorite. »Auf folgende Weise,« antwortete der Sultan. »Um mich von der akademischen Sitzung ein wenig zu zerstreuen, die ich aushalten mußte, wollt’ ich einmal wieder ein Kleinod hören …« »Das wissen wir ja, gnädigster Herr …« »Und bin unglücklicherweise auf zwei verfallen, deren Abgeschmacktheit alles übertrifft, was ich jemals vernahm..«
»Das ist mir unendlich lieb,« erwiderte die Favorite.
»Beide redeten in einer mir unverständlichen Sprache; ich habe alles behalten, was sie sagten, aber ich will auf der Stelle sterben, wenn ich ein Wort davon verstehe.«
Manuskript für Freunde
»Das ist sonderbar,« fuhr die Favorite fort. »Bis jetzt glaubt’ ich, man könne den Kleinoden keinen andern Vorwurf machen, als den, daß sie zu deutlich gesprochen hätten.« »O wahrhaftig!« antwortete Mangogul, »diese beiden trifft der Vorwurf nicht. Verstehe sie, wer da kann!«
»Sie kennen das kleine kugelrunde Weib, deren Kopf tief in den Schultern steckt. Man wird die Arme kaum gewahr. Die Beine sind ihr so kurz, der Bauch sitzt so tief unten, daß sie aussieht wie ein porzellanener Affe oder wie ein dicker schlecht entwickelter Embryo. Man nennt sie Spheroid, die Abgeplattete. Sie bildet sich ein, Brahma habe sie zur Erlernung der Geometrie ausersehen, weil sie von ihm die Gestalt einer Weltkugel erhielt. Sie hätte sich aber ebenso folgerecht für das Geschützwesen bestimmt halten können, denn nach der Art ihrer Rundung muß sie aus dem Schoß der Natur gekommen sein, wie eine Kugel aus einer Kanone.
Ich wollte doch wissen, wie es um ihr Kleinod stände, und hab’ es befragt. Dieser Wirbel aber antwortete mir in so gründlichen geometrischen Ausdrücken, daß ich ihn nicht verstand, und vielleicht verstand er sich selbst nicht. Er sprach von nichts als geraden Linien, konkaven Flächen, gegebenen Größen, von Länge, Breite, Tiefe, festen Körpern, lebendigen Kräften, toten Kräften, Kegeln, Zylindern,
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