Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
unvollkommenste geblieben ist.«
So weit war die Favorite in ihrem Ausfall gegen unsre Theaterstücke gekommen, als Mangogul wieder hereintrat. »Madam,« sprach er zu ihr, »Sie werden mich verpflichten, wenn Sie fortfahren. Ich habe, wie Sie sehen, das Geheimnis, eine Dichtkunst abzukürzen, wenn sie mir zu lang wird.«
»Ich will einmal annehmen,« fuhr die Favorite fort, »es käme einer soeben frisch aus Angote neuerdings ans Land, der sein Lebtag nichts vom Schauspiel gehört habe, dem es aber weder an Verstand noch Weltkenntnis fehlte, der ein wenig die Fürstenhöfe, die Ränke der Hofleute, die Eifersüchteleien der Minister und die Hetzereien der Weiber kennte. Dem nun sagte ich im Vertrauen: ›Mein lieber Herr, es gehen im Serail schreckliche Bewegungen vor. Der Fürst, unzufrieden mit seinem Sohne, von dem er argwöhnt, daß er in die Mamimonbanda verliebt sei, scheint mir ganz der Mann, an beiden eine grausame Rache zu nehmen. Das Abenteuer wird allem Anscheine nach traurige Folgen haben. Wollen Sie, so werde ich Sie zum Zeugen aller kommenden Ereignisse machen.‹ Er nimmt mein Anerbieten an, und ich führe ihn in seine mit Gitterwerk versehene Theaterloge, von wo er die Bühne erblickt, die er für den Palast des Sultans hält. Glauben Sie, der Mensch werde, wenn ich auch ein noch so ernsthaftes Gesicht dazu mache, sich auch nur einen Augenblick täuschen lassen? Im Gegenteil. Sie werden mir zugeben, daß er bei dem gespreizten Gange der Schauspieler, bei ihrer wunderlichen Tracht, bei ihren höchst seltsamen Gebärden, bei dem merkwürdigen Tonfall ihrer gereimten und gemessenen Sprache mich gleich im ersten Auftritt auslachen und mir sagen wird, entweder wollte ich mich über ihn lustig machen, oder der Fürst und sein ganzer Hof seien verrückt geworden.«
»Ich gestehe Ihnen,« sagte Selim, »dieses Beispiel bringt mich selbst in Verlegenheit; aber könnte man Ihnen nicht dagegen einwenden, daß man nicht ins Schauspiel geht mit der Überzeugung, ein Ereignis an sich, sondern nur seine Nachahmung zu sehen?«
»Und soll diese Überzeugung etwa verhindern,« erwiderte Mirzoza, »daß man die Handlung so natürlich darstelle als möglich?«
»Sieh da, Madame,« sagte Mangogul, »auf einmal sind Sie ja an der Spitze der Tadler?«
»Und wenn man Ihnen glauben wollte,« fuhr Selim fort, »droht dem Reiche der Verfall des guten Geschmacks, feiert die Barbarei ihre Auferstehung, und sind wir auf dem besten Wege, in die Unwissenheit der Zeiten Mamurehas und Orondados zurückzufallen?«
»Hoher Herr, fürchten Sie nichts dergleichen. Ich hasse die Unglückspropheten und werde ihre Zahl nicht noch vermehren. Auch ist mir der Ruhm Seiner Hoheit zu teuer, als daß ich dem Glanz seiner Regierung jemals zu nahe treten möchte. Aber das ist doch wahr, Herr Ricarie: wenn man uns Glauben schenkte, würde die Literatur vielleicht in höherem Glanze strahlen.«
»Wie?« fragte Mangogul. »Sollten Sie dieserhalb etwa meinem Seneschall eine Denkschrift überreichen wollen?«
»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie. »Doch nachdem ich Ihrer Hoheit im Namen aller Literaten für den neuen Aufsichtsrat, den Sie uns gaben, gedankt habe, werde ich vielleicht dem Herrn Seneschall untertänigst vorstellen, daß die Wahl der Gelehrten, die mit der Durchsicht der Handschriften betraut werden sollen, eine sehr heikle Angelegenheit ist, daß man diese Sache Männern überträgt, die der Aufgabe keineswegs gewachsen sind, und daß daraus eine Menge böser Folgen entsteht, wie zum Beispiel die Verstümmelung guter Werke; die Unterdrückung der vorzüglichsten Köpfe, die, weil es ihnen nicht erlaubt ist, nach ihrer Weise zu schreiben, entweder gar nicht mehr schreiben oder ihre Werke im Auslande drucken lassen und ihm dadurch beträchtliche Summen zuführen; die Verbreitung einer schlechten Meinung über die Gegenstände selbst, deren Behandlung man verbietet, und tausend andre Nachteile, die alle der Reihe nach Eurer Hoheit aufzuzählen zu weit führen würde. Ich möchte ihm ferner raten, den Gehalt gewisser schreibseliger Blutegel zu kürzen, die ohne Grund und Unterlaß Geld fordern. Ich meine die Glossatoren, Antiquare, Kommentatoren und andre Leute dieser Art, die sehr nützlich sein würden, wenn sie mit ihrem Handwerk Gutes stifteten, die aber die unglückliche Gewohnheit haben, über dunkle Dinge wegzugehen und klare Stellen zu erklären. Ich wünschte ferner, er überwachte die Unterdrückung fast aller
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