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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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Regeln,« fuhr die Favorite fort, »und noch weniger auf die gelehrten Ausdrücke, worin sie abgefaßt sind. Aber ich weiß, nur Wahrheit gefällt und rührt. Weiter weiß ich, die Vollkommenheit eines Schauspiels besteht in so genauer Nachahmung einer Handlung, daß der Zuschauer in ununterbrochener Täuschung selbst bei der Handlung gegenwärtig zu sein sich einbildet. Ist das nun der Fall bei den Trauerspielen, welche Sie uns rühmen?«
    »Bewundern Sie ihre Szenenführung? Die ist ja gewöhnlich so verwickelt, daß so viele Dinge in so kurzer Zeit nur durch ein Wunder geschehen könnten. Der Sturz oder die Erhaltung eines Reichs, die Vermählung einer Fürstin, der Untergang eines Fürsten, das alles geschieht im Handumdrehen. Soll eine Verschwörung dargestellt werden? Man entwirft sie im ersten Aufzuge; im zweiten verbindet und befestigt man sie; im dritten werden alle Maßregeln ergriffen, alle Hindernisse weggeräumt, jedem Verschworenen sein Posten angewiesen; sogleich folgt ein Aufruhr, Waffengetöse, vielleicht ein Treffen zwischen zwei Heeren; und das nennen Sie Linienführung, Interesse, Wärme, Wahrscheinlichkeit? Nein, das könnt’ ich Ihnen nie vergeben! Sie wissen zu genau, wieviel Mühe es zuweilen kostet, eine erbärmliche Intrige zu Ende zu führen; wieviel Zeit mit Maßregeln, Unterhandlungen und Entschließungen über die geringfügigste Staatsangelegenheit vergeht.«
    »Es ist wahr, gnädige Frau,« antwortete Selim, »unsre Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein notwendiges Übel: wenn die Nebenhandlungen uns nicht zu Hilfe kämen, so müßten wir erfrieren.«
    »Das heißt: um der Darstellung einer Tatsache Leben einzuhauchen, muß man sie weder wiedergeben, wie sie ist, noch wie sie sein sollte. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken? Oder es müßte denn nicht mehr absurd sein, die Geigen ein lebhaftes Stück oder muntere Sonaten spielen zu lassen, während die Gemüter der Zuschauer das Vorgefühl haben, ein Fürst ist nahe daran, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren.«
    »Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul, »alsdann muß man Trauermelodien anstimmen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen.« Mangogul stand auf, ging hinaus, und die Unterredung wurde nun zwischen Selim, Ricarie und der Favorite fortgesetzt.
    »Wenigstens werden Sie nicht leugnen, gnädige Frau,« versetzte Selim, »daß, wenn die Nebenhandlungen uns aus der Täuschung reißen, der Dialog uns wieder hineinversetzt? Darauf aber versteht sich niemand besser, als unsre tragischen Dichter.«
    »Dann versteht es also niemand,« versetzte Mirzoza. »Der Schwung, die Geistreicheleien und Geziertheiten, die darin herrschen, sind tausend Meilen entfernt von der Natur! Vergeblich sucht der Dichter sich dahinter zu verstecken, meine Augen dringen hindurch, und ich sehe ihn beständig hinter seinen Gestalten stehen, Cinna, Sertorius, Maximus, Ämilia sind mir in jedem Worte das Sprachrohr Corneilles. So spricht man nicht miteinander bei unseren alten Sarazenen. Herr Ricarie wird Ihnen, wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen, und Sie werden merken, wie in ihrem Munde die reine Natur zum Ausdruck kommt. Gern möchte ich den Neueren zurufen: ›Meine Herren, anstatt bei jeder Gelegenheit eurer Person Geist zu geben, versetzt sie lieber in eine Lage, die ihnen welche gibt.‹«
    »Ihro Gnaden,« sagte Selim, »haben über den Verlauf und den Dialog unsrer Dramen sich in einer Weise ausgesprochen, daß die Entwicklungen schwerlich Gnade vor Ihnen finden werden.«
    »Nein, gewiß nicht,« antwortete die Favorite. »Es gibt hundert schlechte auf ein gutes. Die eine ist nicht vorbereitet, das andre arbeitet mit Wundern. Weiß ein Dichter nicht, was er mit einem Menschen anfangen soll, den er fünf Aufzüge hindurch von einem Auftritt zum andern schleppte, so befördert er ihn mit einem Dolchstoß ins Jenseits. Dann fängt alles an zu weinen, und ich lache wie toll. Und dann: hat man jemals so gesprochen, wie wir deklamieren? Schreiten Fürsten und Könige anders einher, als jemand, der einen guten Gang hat? Werfen sie die Arme in die Luft wie Besessene oder Rasende? Sprechen die Prinzessinnen, indem sie wie Schlangen zischen? Man nimmt allgemein an, wir hätten die Tragödie auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht; und ich halte es beinahe für erwiesen, daß von allen Literaturgattungen, welche die Afrikaner in den letzten zwei Jahrhunderten gepflegt haben, gerade diese die

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