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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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der Vorzug der ersten Liebe, daß sie Besitz ergreift vom Denken und eine Schranke bildet gegen alles, das sich nachher in anderer Gestalt uns darbietet; das auch ist, zu unserer Schande sei es gestanden, die natürliche Undankbarkeit der Kleinode, daß sie den guten Willen niemals für die Tat nehmen.
    Die Bemerkung scheint mir so natürlich, daß, ob ich sie gleich niemand verdanke, sie doch vielleicht auch andre vor mir gemacht haben dürften. Drängte sie sich aber auch schon vor mir jemand auf, so schmeichle ich mir doch, meine Herren, das Verdienst um sie zu besitzen, sie Ihnen zuerst vorgelegt zu haben.
    Ich will es wohl bleiben lassen, so undankbar zu sein, denjenigen, welche bislang ihre Stimme erhoben, vorzuwerfen, daß sie diesen Charakterzug übersahen. Meine Eigenliebe ist vollauf befriedigt, nach einer so großen Anzahl von Rednern meine Beobachtung noch als etwas Neues hinstellen zu können.«
    »Ach, Fürst,« rief Mirzoza ungeduldig, »mich deucht, ich höre den Chriomanten der Manimonbanda. Wenden Sie sich an den Mann und Sie werden die feine und kritische Deutung bekommen, die Sie als ein anmutiges Geschenk vergebens von jedem andern erwarten würden.«
    Mangogul lächelte und fuhr fort: »›Aber‹, sagt der gelehrte Afrikaner, ›ich werde mich wohl hüten, seine Rede weiter zu berichten. Schon der Eingang derselben ist nicht so lustig als die ersten Seiten der Fee Maulwurf, und die Fortsetzung möchte leicht noch langweiliger ausfallen als die letzten der Fee Zwickelbart.‹«
    Endlich vollendete Mangogul die akademische Rede der Schönsprecherin; es war spät, man begab sich zur Ruhe.
    Diese Nacht konnte sich die Favorite einen tiefen Schlaf versprechen. Aber die Unterhaltung des vergangenen Abends kam ihr im Traum wieder in den Kopf, die Gedanken, die sie beschäftigt hatten, vermischten sich mit andern, und es zeigte sich ihr ein seltsames Gesicht, so daß sie nicht unterließ, dem Sultan davon zu erzählen.
    »Ich lag,« sprach sie zu ihm, »im ersten Schlummer, als ich mich in eine Galerie versetzt fühlte, die voll von Büchern war. Was sie enthielten, kann ich Ihnen nicht angeben; sie waren nun für mich, was sie für viele Leute sind, die nicht schlafen. Ich sah keinen Titel an: ein weit auffallenderes Schauspiel zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.
    Von Raum zu Raum zwischen den Schränken, die die Bücher enthielten, erhoben sich Fußgestelle mit schönen marmornen oder erzenen Büsten. Der Zahn der Zeit hatte ihrer geschont, mit Ausnahme einiger Schäden waren sie ganz und vollkommen. Sie trugen den Stempel eines edlen Geschmacks, wie ihn das Altertum seinen Werken zu geben wußte. Die meisten hatten lange Bärte, hohe Stirnen, wie die Ihrige und einen interessanten Gesichtsausdruck.
    Ich war neugierig, ihre Namen zu erfahren und ihre Verdienste kennenzulernen, als aus einem Erker ein Frauenzimmer hervortrat und mich anredete. Stolz war in ihrem Wuchs, Majestät in ihrem Schritt, Adel in ihrem Gange. Milde und Hoheit vereinigten sich in ihrem Blick, und in ihrer Stimme lag ein unnennbarer Zauber, der mir ins Herz drang. Ein Helm, ein Brustharnisch, ein flatternder Rock aus weißer Seide waren ihre ganze Kleidung.« »Ich kenne Eure Verlegenheit,« sprach sie, »und will Eure Neugierde befriedigen. Die Männer, deren Büsten Euch auffielen, waren meine Günstlinge. Sie haben ihre schlaflosen Nächte der Vollendung der schönen Künste geweiht, deren Erfindung man mir verdankt; sie bewohnten den gesittetsten Teil der Erde; ihre Schriften wurden das Vergnügen ihrer Zeitgenossen und sind noch die Bewunderung der Jetztzeit. Tretet näher und Ihr werdet in flacher Bildhauerarbeit an den Fußgestellen, die ihre Brustbilder tragen, einige interessante Vorwürfe bemerken, die Euch wenigstens den Charakter ihrer Schriften sollen erkennen lassen.«
    »Die erste Büste, die ich betrachtete, war ein majestätischer Greis, der mir blind zu sein schien. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er Schlachten gesungen, denn sie waren der Gegenstand der Seiten seines Fußgestells. Auf der Vorderfläche stand die einzelne Gestalt eines jungen Helden. Seine Hand faßte kühn nach dem Griff seines Schwerts, ein weiblicher Arm hielt ihn bei den Haaren zurück und schien seine Wut zu mäßigen.
    Diesem gegenüber stand das Brustbild eines jungen Menschen, er war die Bescheidenheit selbst. Seine Blicke waren mit großer Aufmerksamkeit auf den Greis gerichtet. Auch er hatte Krieg und Schlachten gesungen,

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