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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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jungen Menschen, daß es bei seinem Vater rapple. Er rief um Hülfe, man kam. Er ließ Tarfadi aufsuchen, man fand ihn bei mir, es ist mein Arzt. »Geschwind, geschwind, Herr Doktor, verlieren Sie keine Zeit; der alte Herr Codindo.« – »Nun, Johann? was fehlt deinem Herrn?« – »Er ist närrisch geworden.« – »Dein Herr verrückt?« – »Ach! leider, es ist gewiß. Er ruft immer, er will Tiere sehen, es müßten welche kommen! Der Herr Apotheker ist schon da, und man erwartet Sie ebenfalls. Kommen Sie schnell!« – »Tollheit!« sagte Farfadi, und suchte seinen Doktorhut. »Tollheit, ein schrecklicher Anfall von Tollheit!« Dann zum Bedienten: »Johann,« fragte er, »sieht dein Herr nicht auch Schmetterlinge? Zupft er nicht kleine Flocken aus seiner Bettdecke?« »Ach nein, Herr Doktor,« antwortete Johann. »Mein armer Herr sitzt oben auf der Sternwarte. Seine Frau, seine Töchter und sein Sohn halten ihn bei allen vieren. Kommen Sie schnell; Ihren Doktorhut können Sie morgen suchen.« Codindos Krankheit schien mir zum Lachen. Farfadi stieg in meinen Wagen, und wir fuhren zusammen zur Sternwarte. Unten an der Treppe hörten wir schon Codindo wie besessen rufen: »Ich will den Kometen sehn! Ich muß ihn sehn. Laßt mich ungeschoren!«
    Wahrscheinlich hatte seine Familie, da sie ihn nicht bereden konnte, herabzusteigen, sein Bett oben auf den Turm gebracht, denn wir fanden ihn im Bette. Man hatte den nächsten Apotheker herbeigeholt und den Brahminen des Kirchensprengels, der ihm, als wir kamen, in die Ohren rief: »Bruder, lieber Bruder, bedenken Sie, es geht ums Seelenheil! Sie können um diese Stunde mit gutem Gewissen keinen Kometen erwarten. Sie kommen sonst in die Hölle.« »Das ist meine Sache,« sagte Codindo. »Was werden Sie zu Brahma sagen, vor dem Sie nun bald erscheinen müssen?« fing der Brahmine wieder an. »Herr Pfarrer,« versetzte Codindo und sah mit keinem Auge vom Fernrohr weg, »ich werde ihm sagen, daß es Ihr Amt ist, mich für mein Geld zu ermahnen und das des Herrn Apothekers, mir sein warmes Wasser anzupreisen; daß mein Herr Arzt seine Schuldigkeit tut, wenn er mir den Puls fühlt und nichts davon versteht, und daß ich meine Pflicht tue, wenn ich den Kometen erwarte.« Trotz aller Anstrengung brachte man kein anders Wort aus ihm. Er fuhr heldenmütig fort zu beobachten und starb in der Regenrinne, die linke Hand auf das linke Auge, die rechte am Fernrohr haltend, das rechte Auge auf das Okularglas gerichtet. Um ihn standen sein Sohn, der ihm zurief, er habe sich verrechnet; sein Apotheker, der ihm vorschlug, etwas einzunehmen, sein Arzt, der den Kopf schüttelte und behauptete, es sei nichts mehr zu machen; und sein Beichtvater, der ihn aufforderte, sich zu bekehren und seine Seele Brahma zu befehlen.
    »Das heiße auf dem Bette der Ehren sterben,« sagte Mangogul. »Mag der arme Codindo in Frieden ruhn,« sprach Mirzoza, »und reden wir von etwas Lustigerem.« Darauf wandte sie sich gegen Selim: »Sie haben Ihre besten Jahre hier zugebracht, Sie liebten die Frauenzimmer, Sie lebten an einem Hofe, wo das Vergnügen zu Hause ist. Mit Ihrem Witz, Ihrem Verdienst und dem guten Ansehn, das Ihnen zuteil ward, ist es nicht zu verwundern, daß die Kleinode Ihr Lob gesungen haben: ich vermute sogar, daß sie nicht alles angegeben haben, was sie von ihnen wußten. Nun verlang’ ich zwar von Ihnen darüber keinen Nachtrag: Sie könnten Ihre guten Ursachen haben, dies Ansinnen von sich abzulehnen. Aber nach allen Abenteuern, die diese Geschöpfe auf Ihre Rechnung schreiben, müssen Sie ein Kenner des weiblichen Geschlechts sein: das können Sie doch ohne Zweifel zugeben?«
    »Diese Schmeichelei, gnädige Frau,« antwortete Selim, »würde meiner Eigenliebe sehr gefallen haben, da ich zwanzig Jahr alt war. Aber jetzt besitz’ ich Erfahrung und halte keine Bemerkung für so sicher, als die: je mehr man dies Handwerk treibt, je dunkler wird’s einem. Ich ein Weiberkenner? Bloß studiert hab ich sie.« »Gut also, was halten Sie von ihnen?« fragte die Favorite. »Ich denke, gnädige Frau, daß alle Weiber meine Achtung verdienen, ihre Kleinode mögen sagen was sie wollen.«
    »Wahrhaftig, mein Lieber,« sagte Mangogul, »Sie verdienten selbst ein Kleinod zu sein.« »Sie hätten keinen Maulkorb nötig. Selim,« setzte die Favorite hinzu, »geben Sie den satyrischen Ton auf und sagen Sie uns die Wahrheit.« »Gnädige Frau,« antwortete der Hofmann, »in der Schilderung, die ich entwerfen

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