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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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soll, möchten unangenehme Züge vorkommen: erlassen Sie mir die Notwendigkeit, ein Geschlecht zu beleidigen, das mich immer gut behandelt hat und dem ich schon deswegen Ehrfurcht schuldig bin.« – »Ehrfurcht hin, Ehrfurcht her,« unterbrach ihn Mirzoza, »nichts ist so scharf als die sanftmütigen Männer, wenn sie’s darauf anlegen!« Sie bildete sich nämlich ein, Selim sei aus Achtung für sie zurückhaltend, und fuhr fort: »Lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht abschrecken; wir wollen uns hier ja unterhalten. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich will alles auf mich deuten, was Sie verbindliches von meinem Geschlecht sagen werden, und das übrige andern Frauenzimmern überlassen. Sie haben also die Frauen gut studiert? Schön, erzählen Sie die Geschichte Ihrer Studien; sie muß glänzend sein, nach dem bekannten Erfolg zu urteilen, und man darf wohl annehmen, daß Sie nicht durch das, was uns davon unbekannt blieb, Lügen gestraft werden.« Der alte Höfling gab ihrem Drängen nach und begann folgendermaßen:
    »Die Kleinode haben viel von mir gesprochen, das gesteh’ ich. Aber sie haben nicht alles gesagt. Die meine Geschichte vollständig machen könnten, leben nicht mehr, oder leben nicht in unserm Himmelsstrich, und die sie angefangen haben, erwähnten ihrer nur obenhin. Bis jetzt hab’ ich das unverbrüchliche Geheimnis beobachtet, das ich ihnen versprach, obwohl ich eher zum plaudern gemacht war als sie: da sie aber das Schweigen gebrochen haben, so scheint es, sie entbinden auch mich der Verschwiegenheit.
    Geboren mit feurigem Temperament, wußte ich kaum, was ein schönes Weib sei, als ich es liebte. Meine Erzieherinnen verabscheut’ ich freilich, dagegen ließ ich mir meiner Mutter Kammermädchen wohl gefallen. Sie waren mehrenteils jung und hübsch. Sie unterhielten, kleideten und entkleideten sich in meiner Gegenwart ohne Scheu, forderten mich sogar auf, mir Freiheiten bei ihnen herauszunehmen und bei meiner natürlichen Anlage zur Galanterie ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Diese Kenntnisse begleiteten mich in meinem fünften oder sechsten Jahr unter die Hand männlicher Erzieher, und Gott weiß, wie sehr sie sich vermehrten, als man mir die alten Dichter gab und meine Lehrer einige Stellen daraus verdolmetschten, deren Sinn sie vielleicht selber nicht faßten. Meines Vaters Edelknaben lehrten mich einige Schulstückchen und borgten mir die Aloysia zum Lesen, was meinen Trieb nach Vervollkommnung noch vermehrte. Ich war damals vierzehn Jahr alt.
    Ich blickte um mich und suchte unter den Frauenzimmern, die in unser Haus kamen, an wen ich mich wenden sollte; aber alle schienen mir gleich geschickt, mich einer Unschuld zu entledigen, die mir lästig ward. Ein Anfang von Bekanntschaft und mehr noch der Mut, den ich in mir fühlte, eine Person von meinen Jahren anzugreifen, was ich gegen Erwachsene nicht wagte, bestimmten mich, eine meiner Muhmen zu wählen. Emilie war jung, ich auch; ich fand sie reizend und gefiel ihr; sie war nicht schwierig, ich unternehmend; ich hatte Lust zu kernen, sie war nicht minder begierig zu wissen. Wir legten uns oft sehr naive und starke Fragen vor: eines Tages hinterging sie die Wachsamkeit ihrer Erzieherinnen, wir unterrichteten uns. Ach, was für eine große Lehrmeisterin ist die Natur! Sie ließ uns bald den Genuß entdecken und wir überließen uns ihren Trieben, ohne deren Folgen einigermaßen zu ahnden. Das war nicht das Mittel ihnen vorzubeugen. Emilie bekam Übelkeiten, die sie um so weniger verbarg, als sie ihre Ursache nicht argwohnte. Die Mutter fragte sie aus, entriß ihr das Geständnis unsers Umgangs und mein Vater erfuhr davon. Der gab mir einen Verweis deswegen, wobei er aussah, als ob es ihm nicht leid täte, und alsbald ward ausgemacht, daß ich reisen sollte. Mich begleitete ein Hofmeister, mit dem Auftrage, meine Aufführung sorgfältig zu beobachten, ohne sie einzuschränken: und fünf Monate hernach erfuhr ich durch die Zeitung, Emilie sei an den Blattern gestorben, und durch einen Brief meines Vaters, die Zärtlichkeit, die sie für mich empfunden, koste ihr das Leben. Der erste Sprößling meiner Liebe dient jetzt mit Ehren im Heere Ihrer Hoheit: mein Einfluß hat ihn immer unterstützt und noch kennt er mich nur als seinen Gönner.
    Die Nachricht von seiner Geburt und seiner Mutter Tod erhielt ich in Tunis. Sie erschütterte mich heftig, und ich glaube, ich wäre darüber nicht zu trösten gewesen, hätt’ ich nicht gerade eine

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