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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Warteraum 4 ist kein Platz mehr«, sagte der Zweigesternte.
    Man brachte Martin in einen andern Raum, der kleiner war, grell erleuchtet. Hier standen ein paar Menschen, mit dem Gesicht gegen die Wand. »Stell dich hierher, Saujud«, sagte man zu Martin, und er mußte sich neben die andern stellen. Ein Grammophon spielte das Horst-Wessel-Lied. »Die Straße frei den braunen Bataillonen«, quäkte es. »DieStraße frei dem Sturmabteilungsmann. Es schaun aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen. Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.« – »Mitsingen«, kommandierte man. Knüppel wurden geschwungen, und die mit dem Gesicht zur Wand sangen. Dann wurde eine Platte mit einer Rede des Führers gespielt, dann wieder das Horst-Wessel-Lied. »Grüßen«, kommandierte man, und wer Arm oder Finger beim altrömischen Gruß nicht stramm genug hielt, bekam einen Schlag auf Arm oder Finger. »Mitsingen«, hieß es dann wieder. So ging es eine Weile. Dann wurde das Grammophon abgestellt, und es war nun völlige Stille im Raum.
    Das mochte so eine halbe Stunde dauern. Martin wurde sehr müde, er drehte vorsichtig den Kopf zur Seite. »Willst du still stehn, Mensch«, sagte einer und schlug ihn über die Schulter. Es tat weh, aber eigentlich nicht sehr. Dann begann wieder das Grammophon. Die Nadel ist abgenützt, dachte Martin, und ich bin hundemüde. Einmal wird es denen auch zu langweilig werden, meinen Rücken anzuschauen. »Wir beten jetzt das Vaterunser«, kommandierte die Stimme. Gehorsam sagten sie das Vaterunser her. Martin hatte es lange nicht gehört, er hatte nur eine vage Ahnung. Er achtete genau auf die Worte, eigentlich waren es gute Worte. Das Grammophon verkündete die fünfundzwanzig Punkte des Parteiprogramms. Jetzt habe ich ja mein Training in einem gewissen Sinn, dachte Martin. Liselotte hängt jetzt sicher an der Strippe und telefoniert. Mühlheim auch. Liselotte, das ist das Schlimmste.
    Zwei Stunden stehen, das klingt nach nichts. Aber es ist nicht leicht für einen Mann, nahe den Fünfzig und keiner körperlichen Anstrengung gewohnt. Das grelle Licht und sein Widerschein an der Wand quälte Martins Augen, das Gequäk des Grammophons seine Ohren. Aber dann, ihm schien es eine Ewigkeit, es waren zwei Stunden, wurde es ihnen wirklich zu langweilig. Sie befreiten ihn von der Wand, führten ihn wieder über Treppen und durch dunkle Gänge und schließlich in ein kleines Zimmer, ziemlich dunkel. Diesmal saß einer mit drei Sternen vor einem Tisch mit einem Leuchter.»Haben Sie noch einen Wunsch? Oder haben Sie sonst noch etwas zu bestellen?« fragte er Martin. Martin überlegte. »Grüßen Sie Herrn Wels«, sagte er schließlich undurchsichtig. Der andere schaute ihn unsicher an.
    Wieder übernahmen ihn die Jungens. Martin hätte sich am liebsten mit ihnen unterhalten, aber er war zu müde. Der nächste, der mit ihm sprach, war der Packer Hinkel. Er war nicht in Uniform. »Ich habe mich für Sie eingesetzt, Herr Oppermann«, sagte er, ihn aus seinen engen Augen musternd. »Schließlich war man einige Jahre zusammen. Ich glaube, es ist besser, Sie geben nach. Unterschreiben Sie, daß Sie sich den Anordnungen des Betriebsrats fügen und die vier Leute entlassen, und Sie sind frei.« – »Sie meinen es wahrscheinlich gut, Herr Hinkel«, sagte friedfertig Martin. »Aber hier unterhandle ich nicht mit Ihnen. Über Geschäfte verhandle ich nur in der Gertraudtenstraße.« Der Packer Hinkel zuckte die Achseln.
    Man wies Martin eine Pritsche an in einer kleinen Kammer. Er hatte Kopfschmerzen; auch die Stelle am Rücken, auf die man ihn geschlagen hatte, schmerzte jetzt. Er versuchte, sich die Sätze des Vaterunsers ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber die hebräischen Worte des Totengebetes, die er unlängst gesprochen hatte, drängten vor. Es war gut, allein zu sein. Er war sehr erschöpft. Aber man schaltete das Licht nicht aus, das hinderte ihn am Schlafen.
    Noch bevor die Nacht um war, wurde er wieder in den Raum gebracht, wo man ihn aufgenommen hatte. Hinter dem Tisch mit dem Leuchter saß jetzt einer ohne Laub, mit nur zwei Sternen. »Sie können gehen, Herr Oppermann«, sagte er. »Es sind nur noch einige Formalitäten zu erfüllen. Wollen Sie, bitte, das hier unterschreiben.« Es war eine Bestätigung, daß er gut behandelt worden sei. Martin las, wiegte den Kopf. »Wenn ich zum Beispiel meine Angestellten so behandelte«, sagte er, »ich weiß nicht, ob sie mir das bestätigten.« – »Sie wollen doch

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