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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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verlangten, zur Wehr setzte, wurde im Polizeigefängnis gelyncht. Siebenundvierzig Juden begangen an diesem Sonnabend Selbstmord.
    Um zwei Uhr mittags kam Liselotte in die Gertraudtenstraße, um Martin abzuholen. Der Truppführer trat ihr entgegen, machte sie darauf aufmerksam, daß heute Judenboykott sei. »Ich bin die Frau des Chefs«, sagte sehr laut Liselotte. Die Landsknechte schauten die große, blonde Dame an. »Schämen Sie sich«, sagte der Truppführer und spie aus. Zehn Minuten später verließ Liselotte das Haus wieder, an der Seite Martins, durch die Vordertür.
    In das Chefkontor in der Gertraudtenstraße kam Markus Wolfsohn. Er war von den Deutschen Möbelwerken entlassen worden. »Schön, Wolfsohn«, sagte Martin. »Sie können bei mir eintreten.«
    Noch am gleichen Nachmittag erschien bei Martin der Packer Hinkel, Leiter der völkischen Betriebszelle des Möbelhauses Oppermann. Erregt verlangte er, Martin habe Herrn Wolfsohns Einstellung sowie die von drei andern jüdischen Verkäufern rückgängig zu machen und statt ihrer »Arier« einzustellen. »Ich glaube«, sagte freundlich Martin,»Sie täuschen sich über Ihre Befugnisse, Hinkel«, und er zeigte ihm eine Zeitungsmeldung. Nur amtliche Stellen, hieß es da, nicht die Leiter einzelner völkischer Organisationen dürften in die Betriebsleitung eingreifen. Bösartig, aus engen Augen, schaute der Packer Hinkel seinen Chef an. »Erstens«, erwiderte er, »haben Sie, wenn ich in Uniform bin, Herr Hinkel zu mir zu sagen. Zweitens ist diese Verordnung nur für das Ausland gedruckt und geht mich nichts an. Drittens werde ich über Ihr Verhalten an geeigneter Stelle zu berichten wissen.« – »Schön«, sagte Martin. »Aber jetzt sehen Sie zu, Herr Hinkel, daß endlich die Sendung für Seligmann & Co. fertig wird. Herr Brieger sagte mir, es liege nur an Ihnen, daß die Sendung nicht schon gestern abging.« – »Die Arbeit für den nationalen Aufstieg geht vor«, erwiderte der Packer Hinkel.
    Am gleichen Nachmittag zeigte Franz Pinkus, ein Geschäftsfreund Martins, ihm ein Schreiben folgenden Inhalts: »Nachdem Sie trotz meiner diversen Mahnungen bis heute noch nicht bezahlt haben, gebe ich Ihnen hiermit die letzte Gelegenheit. Sollte ich nicht innerhalb drei Tagen in dem Besitze des in Frage kommenden Betrages sein, werde ich Sie, da ich persönlich Nationalsozialist bin, der betreffenden Stelle überantworten, daß man Ihr Geschäft schließe und Sie selbst in ein Konzentrationslager aufnehme, da Sie versuchen, die für Sie nachteiligen Folgen der Boykottbewegung auf Ihre Lieferanten abzuwälzen. Das Neue Deutschland wird Ihnen dann den richtigen Weg zeigen. Hochachtungsvoll. Gebrüder Weber Nachf.« – »Was werden Sie tun?« fragte Martin. Herr Pinkus schaute Martin nachdenklich an. »Ein Posten von siebentausenddreihundertdreiundvierzig Mark auf der Faktura ist bestreitbar«, sagte er. »Ich habe dem Mann gesagt, wenn er mir für meinen Paß das Ausreisevisum schafft, dann zahle ich.«
    In der Nacht darauf, gegen Morgen, kamen sie zu Martin Oppermann in die Corneliusstraße. Das verstörte Mädchen beiseite schiebend, stand einer mit Revolver und Gummiknüppelin Martins und Liselottes Schlafzimmer, hinter ihm vier oder fünf andere, sehr junge Burschen. »Herr Oppermann?« fragte der Führer höflich. »Ja«, sagte Martin. Es war nicht Schreck oder der Wille zur Unfreundlichkeit, was seine Stimme brummig klingen ließ, sondern es war nur, weil er noch verschlafen war. Liselotte war hochgefahren, aus großen, entsetzten Augen starrte sie auf die Burschen. Es war ein Glück, sagte man überall im Reich, in die Hände der Staatspolizei zu fallen, aber wehe dem, der in die Hände der Völkischen fiel, und dies waren Völkische. »Was wollen Sie von uns?« fragte Liselotte ängstlich. »Von Ihnen gar nichts, meine Dame«, sagte der junge Mensch. »Sie haben sich anzuziehen und mit uns zu kommen«, sagte er zu Martin. »Schön«, sagte Martin. Er überlegte angestrengt, welche Stellung der Bursche wohl in der Landsknechtsarmee einnahm; man erkannte das an dem Aufschlag am Kragen, dem sogenannten Spiegel. Wels hatte vier Sterne gehabt. Der hier hatte zwei. Aber wie man so einen hieß, darauf konnte Martin nicht kommen. Er hätte ihn am liebsten gefragt, aber das hätte der junge Mensch wohl als Hohn aufgefaßt. Im übrigen war Martin sehr ruhig. Man wußte, daß in den Kellern der Landsknechtsunterkünfte viele erschlagen worden waren, man kannte die

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