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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Hundehütte, eine angenehme Hundehütte in einer angenehmen Landschaft, graubraunfarben mit viel Ölbäumen. Die Hundehütte wird ihre fünfzehntausend Franken kosten. Herr Teibschitz hat in Deutschland eine Frau zurückgelassen, die ihm das Geld schicken könnte; aber er hat wenig Illusionen: wahrscheinlich wird sie es ihm nicht schicken.
    Herr Teibschitz ist bedürfnislos, aber er liebt Fische und Meeresfrüchte aller Art und versteht sich darauf, sie gut zuzubereiten. Gustav bietet ihm an, das in seiner Küche zu tun. Es finden sich Holzkohlen und eine Art Grill. Herr Teibschitz, von Gustav sachkundig unterstützt, nimmt die Fische aus, brät sie mit Öl, fügt Rosmarin und Thymian zu; auch eine schmackhafte Bouillabaisse vermag er zu bereiten. Er ißt langsam, mit Behagen, kaut lange, schmatzt wohl auch ein wenig.
    Herr Teibschitz, als er noch reich war, hat mancherlei ästhetische Interessen gehabt. Vor allem hat er sich für Gemälde interessiert, er hat eine schöne Sammlung besessen, seine Stärke waren Landschaften. Er hat Sinn für Landschaften, er kannmit wenig Worten eine Landschaft vor einen hinstellen, daß man sie sieht. Er hat große Reisen gemacht und hat, was er sah, gut gesehen. Falls ihn die Frau im Stich läßt, so daß er hier die Hundehütte nicht kaufen kann, dann wird er wahrscheinlich eine Fußreise machen, hinunter durch Italien, durch Sizilien. Dies erzählt Herr Teibschitz Herrn Oppermann, stückweise, mundfaul, angelnd, auf den Klippen in der Sonne liegend, Fische bereitend.
    Eines Tages erscheint Herr Teibschitz sehr verändert. Er hat sich den Seehundsbart abnehmen lassen. Der habe ihn beim Essen behindert, erklärt er Gustav. Gustav habe einen verderblichen Einfluß auf ihn, fügt er bei in seiner faulen, spöttelnden Art, er werde ihn noch ganz zum Sybariten machen. Aber das Umgekehrte ist wahr. Gustav wird durch die Gegenwart des andern immer bedürfnisloser. Jetzt kauft er sich auch einen weiten, blauen, derbstoffigen Anzug, wie der andere ihn hat. Seitdem Herr Teibschitz sich den Seehundsbart hat abrasieren lassen, kommt heraus, wie ähnlich sich die beiden Männer sehen, gar wenn sie in ihren weiten, dunkelblauen Anzügen nebeneinander sitzen. Unwillkürlich auch nehmen sie einer die Gewohnheiten des andern an. Früher hat Gustav seine Unart, mit den Zähnen zu malmen, bekämpft, jetzt läßt er sich gehen. Wenn Herr Teibschitz schmatzt, malmt er mit den Zähnen. Einmal, lachend, konstatiert er: »Wir schauen ja einer aus wie der andere, Herr Teibschitz.« Herr Teibschitz betrachtet ihn. »Sie sehen bedeutender aus, Dr. Oppermann«, sagt er träg, trocken, undurchsichtig.
    Herr Teibschitz spricht nicht oft von den deutschen Dingen, aber er vermeidet es auch nicht. Er war gern in Deutschland. Deutscher Himmel, deutsche Landschaft, deutsche Menschen waren ihm sehr lieb. Schade, daß sie jetzt die Landschaft mit ihren Hakenkreuzen verhunzen. Voriges Jahr, in Nidden, hat er ein Hakenkreuz gesehen, das den größten der riesigen Sandberge dort ganz überdeckte. Drei Tage darauf hat es freilich der Wind verweht. Die Landschaftläßt sich viel gefallen, aber am Ende bleibt sie doch immer die gleiche. Als er noch Geld hatte, ist er viel geflogen. Da sieht man, wie weit das Land ist und was für winzige Teile davon die großen Siedlungen einnehmen, von denen sie soviel hermachen. Schade, daß jetzt das schöne deutsche Land die Tollwut bekommen hat. Die andern wollen es noch nicht recht wahrhaben. Sie glauben, wenn sie dem tollwütigen Hund gut zureden, werde er nicht beißen. Aber nach seiner Kenntnis von tollwütigen Hunden sind die nicht so. Schade um das schöne Deutschland. Und er zeigt Gustav das Photo einer Voralpenlandschaft.
    Ja, jetzt, bei seinem bescheidenen Einkommen, sammelt Herr Teibschitz an Stelle von Gemälden Photos. Gustav läßt sich gern Stücke ans dieser Sammlung zeigen. Menschen, Landschaften. Herr Teibschitz zeigt ihm wohl auch Köpfe aus dem Neuen Deutschland. Köpfe der führenden neuen Männer, sehr leere Köpfe voll hysterischer Strammheit und Brutalität. Einer wie der andere stehen sie vor dem Mikrophon, den Mund weit aufgerissen. Herr Oppermann und Herr Teibschitz, in ihren derbstoffigen, weiten, dunkelblauen Anzügen, neigen sich über die Photos, betrachten die Köpfe, einen aufgerissenen Mund nach dem andern. Sie sagen nichts, sie schauen nur einander an, ihre eigenen Münder werden breiter, sie lächeln. Und plötzlich, trotz allem, was die Männer, die

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