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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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die Anna geschaffen hat, hält nicht lange vor, doch das stört ihn nicht. Er schließt sich nicht ab von den Menschen, schwatzt mit denen ringsum, Fischern, Wein- und Ölbauern, gelegentlichen Touristen. Aber er ist auch viel allein. Mit seinen Brüdern, seinen Leuten hält er wenig Verbindung. Man schreibt ihm, aber er antwortet spärlich, immer spärlicher. Ruhevoll lebt er vor sich hin, seines Schicksals sicher.
    Das Geld in seiner Brieftasche nimmt ab. Er könnte sich an Mühlheim wenden oder an die Schweizer Bank, bei der er ein Konto hat; er tut es nicht. Solange das Geld in seiner Brieftasche vorhält, wird er noch hierbleiben. Das Geld auf der Bank ist für seinen späteren Zweck bestimmt.
    Seine Gewohnheiten werden einfacher, er lebt bedürfnislos. Wandert oder fährt in seinem kleinen, immer mehr verkommenden Wagen in der schönen, weiten Landschaft herum. Man sieht ihn irgendwo in der Sonne liegen, seinen Imbiß verzehren, Brot, Käse, Früchte. Dazu trinkt er einen Schluck derben Landweins. Auch in den kleinen Kneipen sitzt er, redet mit Bauern, Händlern, Fischern, Autobusschaffnern. Lautsprecher sind da, am Nachmittag wird überall Musik gemacht, am Abend getanzt, das Leben ist bunt, lärmend. Gustav läßt sich gelassen treiben. Ja, er kann lustig sein, sehr liebenswürdig, oft ist ein Schimmer jenes früheren Gustav über ihm, dem die Männer gern zuhörten, auf dessenFreundschaft die Frauen stolz waren. Auch jetzt schauen die Frauen ihm nach und bedauern, wenn er weggeht. Er ist oft besinnlich, selten trüb. Die Dinge im Lande des Alpdrucks sind da, er sperrt seine Sinne nicht vor ihnen zu, sie sind in ihm nicht weniger als jenseits der Grenze. Aber obwohl sie immer da sind, bleibt er ruhevoll, fast heiter.
    In der nahen großen Stadt Marseille sieht er in einer Buchhandlung ein neues deutsches Werk ausliegen, eine Broschüre: »Bericht über die Sichtung einer neuen Menschenart. Für eine Freundin. Von Friedrich Wilhelm Gutwetter.« Er kauft das Buch. Er findet darin manches Schöne über die völkische Idee, hohe bedeutungsvolle Sätze, so hohe freilich, daß man die Idee nur mehr vag erkennen kann. Es ist eine Idee ohne Adresse und ohne Telefonnummer, man kann nichts Rechtes damit anfangen. Auch Sybil, seine kleine, dünne, sachliche Sybil, wird nicht viel damit anfangen können. Andern Tages, wie er seinen Imbiß mit auf den Weg nehmen will, fehlt es ihm an Papier. Er reißt zwei Blätter aus dem »Bericht über die Sichtung einer neuen Menschenart« heraus.
    Aus Berlin teilt man ihm mit, es sei nun auch Jean, der alte würdige Diener des Theaterklubs, in die völkische Partei eingetreten. Das rührt ihn mehr auf. Seine letzte Zeit in Berlin und jene fünf Mark waren nicht gut angelegt. Er hätte diese Zeit besser auf Berthold verwendet.
    Manchmal, wenn er unten allein an seiner Bucht liegt oder wenn er vor dem verwitterten, rosigbraunen Haus hockt auf dem sandigen, abfallenden, piniengesäumten Gelände, sieht er unten auf den Klippen einen Mann angeln. Eigentlich gehören die Klippen zu dem von ihm gemieteten Terrain, er könnte den Mann wegweisen. Er ist gern allein, doch auch die Nähe von Menschen ist ihm nicht unangenehm. Manchmal watet der Mann im Wasser herum, auf der Jagd nach Seeigeln, oft auch liegt er auf den Klippen und sonnt sich. Bald wünscht Gustav ihm die Tageszeit, läßt sich in kleine Gespräche mit ihm ein. Der Mann ist schwer von Statur, faul von Bewegungen, hat einen großen Kopf mit einem dickenSeehundsbart, trägt einen weiten, dunkelblauen Anzug aus hartem, derben Stoff, wie ihn viele in dieser Gegend tragen. Es stellt sich heraus, daß er einer der zahlreichen Deutschen ist, die hier unten leben, ein gewisser Georg Teibschitz.
    Herr Georg Teibschitz ist erst in den letzten Wochen aus Deutschland gekommen. Geld hat er wenig, doch genug, um drei oder vier Jahre vor sich hin leben zu können, hier oder sonstwo, wo die Winter nicht sehr kalt sind. Herr Teibschitz rekelt sich in der Sonne, blinzelnd aus Augen, die tief und schläfrig in seinem schweren Kopf liegen, döst vor sich hin, macht lange Pausen zwischen seinen Sätzen, vor seinen Antworten. Er hat viel gesehen und viel erlebt. Vor ein paar Jahren einmal scheint er reich gewesen zu sein, dann wohl ist sein Geld weggeschmolzen, später scheint er wieder Geld gehabt zu haben. Jetzt will er nur eines: Ruhe und wenig Menschen um sich. Er hat hier in der Nähe ein Häuschen gesehen, Häuschen ist zuviel, eine

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