Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Verhör so zurück, daß er, als man ihn den Tag darauf aus dem Bunker holen wollte, halbschräg dalag, ohnmächtig. Man steckte ihn auf zwei Tage in die Lazarettbaracke. Dann kam er wieder in den früheren Raum, und seine Tage gingen hin wie früher. Nur war jetzt der ältere, brillenlose Mann verschwunden, und es kam vor, daß an seiner Statt Gustav, wenn man ihn ansprach, die Arme vors Gesicht hielt und »Zu Befehl« sagte.Klaus Frischlin war in diesen Wochen, da er in der Zentralorganisation der Gegenbewegung arbeitete, noch kühler und rechenhafter geworden. Dennoch traf es ihn hart, als er aus seinen Geheimlisten ersah, daß Georg Teibschitz geschnappt worden war.
Er versuchte, Mühlheim zu erreichen. Mühlheim war eng liiert mit völkischen Kollegen. Auf diese Art konnte er für viele seiner Freunde aussichtsreiche Rettungsaktionen einleiten. Ohne Gefahr für ihn selber ging das freilich nicht ab, und seine völkischen Kollegen rieten ihm immer dringender, doch endlich zu türmen. Aber Mühlheim konnte den Bitten derer, die in ihm den letzten Schluck in der Pulle sahen, nicht widerstehen. Ich bin ja ein Narr, sagte er sich. Wozu denn dieses Noch und Noch? Worauf er nach einer endgültig letzten Aufgabe eine allerletzte übernahm.
Seines törichten Freundes Gustav erinnerte er sich oft. Nachrichten von ihm erhielt er freilich spärlich, seit langem hat er überhaupt nichts mehr von ihm gehört. Vermutlich treibt sich Gustav in irgendeiner schönen Gegend des Auslandes herum, in Sicherheit, heiter, in Gesellschaft einer angenehmen Frau. Wenn er, Mühlheim, erst so weit sein wird, daß er endlich ins Ausland verduften kann, wird es nicht viel Mühe machen, ihn aufzustöbern. Längst hatte Mühlheim die Torheiten des Freundes vergessen, immer heftiger sehnte er sich danach, ihn jetzt im Ausland zu treffen.
In dieser Lage traf Mühlheim Klaus Frischlins Anruf. Hastig am Telefon fragte er, ob Frischlin Nachricht von Gustav habe, ob er wisse, wo er sei. Frischlin erwiderte kurz, über all das werde er Mühlheim bei ihrem persönlichen Zusammentreffen informieren. Mit Spannung also erwartete Mühlheim Frischlins Besuch. Der sagte ihm ohne lange Umschweife, daß im Konzentrationslager Moosach ein gewisser Georg Teibschitz sei, identisch mit Gustav Oppermann.
Mühlheim, tief erblaßt, verlor sich, ließ Schmerz und Wut an Klaus Frischlin aus. »Sie waren der einzige, mit dem er Verbindung gehalten hat«, fuhr er auf ihn los. »Sie hätten ihmabraten müssen. Er ist ein Kind.« – »Woher wissen Sie, daß ich ihm nicht abgeraten habe?« fragte kühl Klaus Frischlin zurück.
Mühlheim starrte hilflos. Sich für jemanden einzusetzen, den die Landsknechte einmal geschnappt hatten, war überaus gefährlich. Seine völkischen Kollegen werden es weit von sich weisen, ihn dabei zu unterstützen. Am Dienstag hat er abfahren wollen. Er reitet sich selber hinein. Es wird gehen wie in dem Gleichnis vom Weinberg. Aber er denkt keinen Augenblick daran, sich zu drücken.
Es gab zwei Möglichkeiten, man wird beide versuchen. Erstens wird man F. W. Gutwetter in Bewegung setzen, und zweitens muß Jacques Lavendel auf das Wirtschaftsministerium drücken, daß man von dort aus interveniere.
Friedrich Wilhelm Gutwetter, über Gustavs Schicksal ehrlich betrübt, war groß erstaunt, als Mühlheim ihn aufforderte, sich für Gustav einzusetzen. Was kann da er tun? Für ihn ist Politik ein fremder Stern. Er wußte nicht, an wen sich wenden und wie. Wie soll er es begründen, daß er für einen unbekannten Herrn Teibschitz eintritt? Weiß man denn überhaupt, was man diesem Teibschitz vorwirft? Alle Beredsamkeit Mühlheims prallte an der gepanzerten, kindlichen Naivität des großen Essayisten ab.
Mühlheim wandte sich an Sybil Rauch. Er hatte wenig Hoffnung. Sybil wird sich wohl ähnlich verhalten wie Gutwetter; vielleicht sogar wird sie eine kleine Genugtuung spüren, daß es dem Manne so übel geht, nun er sich von ihr getrennt hat. Allein es kam anders. Sybil, als sie erfaßte, was geschehen war, wurde sehr blaß, ihr Gesicht zuckte, ihr ganzer, dünner, kindlicher Körper zuckte. Sie begann zu flennen, haltlos, ein Kind, sie warf den Kopf vornüber auf die Arme, es schüttelte sie. Dann, als Mühlheim ihr mitteilte, er habe vergeblich mit Gutwetter gesprochen, wurde ihr Gesicht entschlossen und böse. Sie hat nun Wochen, Monate hindurch Gutwetters hymnische Kindlichkeit ertragen, hat sich oft und immer heftiger nach Gustav
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