Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Sitzen, sein verbindliches Gesicht war verdrossen, erregt. »Was stellen Sie sich denn vor? Was fürchten Sie denn? Glauben Sie, man wird unsern Kunden verbieten, bei uns zu kaufen? Glauben Sie, man wird unsere Läden zusperren? Glauben Sie, man wird unser Betriebskapital enteignen? Weil wir Juden sind?« Er stand auf, lief mit steifen, kräftigen Schritten hin und her, atmete heftig durch die fleischige Nase. »Lassen Sie mich doch mit Ihren Ammenmärchen in Frieden. Pogrome gibt’s nicht mehr in Deutschland. Damit ist es zu Ende. Seit mehr als hundert Jahren. Seit hundertvierzehn Jahren, wenn Sie’s genau wissen wollen. Glauben Sie, dieses ganze Volk von fünfundsechzig Millionen Menschen hat aufgehört, ein Kulturvolk zu sein, weil es ein paar Narren und Lumpen Redefreiheit gab? Ich glaub es nicht. Ich bin dagegen, daß man auf die paar Narren und Lumpen Rücksicht nimmt. Ich bin dagegen, daß man den guten Namen Oppermann aus der Firma streicht. Ich bin dagegen, daß man mit einem so sturen Zeitgenossen wie dem Wels verhandelt. Ich lasse mich nicht anstecken von eurer Panik. Ich mache da nicht mit. Ich verstehe nicht, wie erwachsene Männer hereinfallen können auf diesen ollen Schmierenzauber.«
Die andern saßen betreten. Gustavs Gelassenheit, seine Gefälligkeit war sprichwörtlich. Im Geschäft hat er niemals ernsthaft Opposition gemacht. Niemand hat ihn je so erregt gesehen. Was war das? Gab es ein einziges jüdisches Geschäft, das keine Vorsichtsmaßnahmen traf? Wie konnte ein so gescheiter Mensch wie Gustav so blind sein? Da sieht man es, wohin die Beschäftigung mit literarischen und philosophischen Dingen führt.
Jacques Lavendel war der erste, der sprach. »Sie glauben also immer noch, daß die bessere Einsicht unter diesem Breitengrad siegen wird?« Er schaute Gustav freundlich an. »IhrWort in Gottes Ohr«, sagte er dann mit seiner leisen, heiseren, wohlwollenden Stimme. »Wenn man in historischen Zusammenhängen denkt, dann haben Sie sicher recht, Gustav. Aber wir Geschäftsleute sind leider gezwungen, auf sehr kurze Sicht zu denken. Der Tag, von dem Sie sprechen, wird bestimmt kommen. Aber niemand von uns weiß, ob er ihn erlebt. Wirtschaftlich, meine ich. Sie haben dann recht gehabt, aber die Firma Oppermann ist pleite.«
»Großartig, Ihre Zuversicht«, sagte der repräsentative Herr Hintze, stand auf und drückte Gustav warm die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihre Worte. Wirklich wohltuend, erhebend. Aber als Kaufmann muß ich sagen: Zuversicht im Herzen, Vorsicht im Geschäft.«
Martin, stumm, nahm seinen Zwicker heraus, putzte an ihm herum, steckte ihn wieder weg. Betroffen, besorgt schaute er auf seinen Bruder. Sah plötzlich, daß Gustav fünfzig Jahre alt war. Sein Training, sein helles, sorgloses Leben hatte ihm nichts genützt. Da stand er und sprach Worte, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Martin schaute auf das Porträt des alten Immanuel. Er wußte auf einmal, mit hundertprozentiger Sicherheit wußte er, dieser alte Immanuel hätte an seiner Statt schon vor einem Jahr mit Wels unterhandelt, er wäre längst einig mit Wels; lächelnd, kopfwiegend hätte er Namen und Porträt verschwinden lassen. Was lag an einem Namen, an einem Bild? Auf die Sache kam es an. Längst im Ausland hätte er seine Familie angesiedelt, irgendwo, unter leichteren, zivilisierteren Menschen. Martin fühlte sich plötzlich seinem Bruder ungeheuer überlegen. »Sachte, sachte, Gustav«, sagte er. »Es wird sich eine Lösung finden.«
Gustav stand in einer Ecke. Schaute, immer noch erregt, auf die andern. Was hatte er mit ihnen zu tun, mit diesen bibbernden Geschäftsleuten? Sie waren ihm unsympathisch, allesamt, mit ihrer ewigen, billigen Skepsis. Da war das große Deutschland, von Luther bis Einstein und Freud, von Gutenberg und Berthold Schwarz bis Zeppelin und Haber und Bergius,und weil dieses Deutschland, aufs äußerste gepeinigt, für einen Moment den Kopf verlor, gaben sie auf, die Geschäftsleute. »Es bedarf keiner Lösung«, grollte er Martin zu. »Es soll alles bleiben, wie es ist. Die bloße Existenz der Deutschen Möbelwerke ist schon zuviel Konzession.«
Die andern begannen sich zu ärgern. »Nehmen Sie Vernunft an, Gustav«, sagte Jacques Lavendel. »Kant ist Kant, und Rockefeller ist Rockefeller. Kant hätte mit den Methoden Rockefellers keine Bücher schreiben können, aber Rockefeller hätte mit den Methoden Kants keine Geschäfte gemacht.« Er sah ihn herzlich an. »Machen Sie
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