Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Geschichtsphilosophie in der Max-Reger-Straße, aber in der Gertraudtenstraße machen Sie Geschäfte.«
Es war merkwürdigerweise Klara, die einen Ausweg aus der unbehaglichen Situation fand. Ihr Bruder Gustav gefiel ihr; aber während er sprach, wurde ihr doppelt bewußt, warum sie Jacques geheiratet hatte. Sie hatte bisher geschwiegen, man hatte ganz vergessen, daß sie da war. Alle waren überrascht, als jetzt die breite, stille Frau zu reden anhub. »Wenn es Gustav so sehr am Herzen liegt«, schlug sie vor, »daß der Name Oppermann erhalten bleibt, dann könnte man hier das Stammhaus unter dem Namen Oppermann weiterführen und alle Filialen in den Deutschen Möbelwerken zusammenschließen. Und daß Brieger weiter mit Herrn Wels verhandelt, privatim, dagegen wird Gustav wohl nichts einzuwenden haben.«
Der Vorschlag der bedächtigen, resoluten Frau wurde Gustav gerecht und den andern. Alle, ohne langes Gerede, stimmten zu. Gustav, um das Gesicht zu wahren, machte noch einige Vorbehalte. Er war unzufrieden mit sich, daß er sich hatte hinreißen lassen. Schließlich gab auch er die notwendige Unterschrift.
Martin, als die andern ihn verlassen hatten, stützte beide Arme schwer auf die Lehne seines Stuhls. Das unbegreifliche Verhalten seines Bruders drückte ihn. Er hat viel umzulernen, dachte er. Warum will er nicht wahrhaben, was doch alle sehen?Dies Deutschland von 1933 ist nicht mehr das Deutschland unserer Jugend. Es hat nichts zu tun mit dem Deutschland Goethes und Kants, daran muß man sich gewöhnen. Aus dem »Faust« kann er wenig über dieses Deutschland lernen, da muß er schon das Buch »Mein Kampf« studieren.
In der Corneliusstraße, beim Abendessen, bemüht sich Martin um ein unbekümmertes Tischgespräch. Er denkt natürlich nicht daran, Liselotte die gefaßten Beschlüsse zu verschweigen. Aber es wäre schwer zu ertragen, wenn sie es leichtnähme. Und er wünscht doch, daß sie es leichtnimmt. Liselotte sitzt zwischen dem mühsam beredten Gatten und dem schweigsamen Sohn. Sie spürt Martins Unruhe, und sie merkt mit steigender Besorgnis, wie Berthold sich mit einem Erlebnis abquält, an dem er andere nicht teilhaben lassen will.
Nach dem Abendessen dann, in kurzen Worten, mit Anlauf, teilt Martin ihr mit, daß jetzt mit Ausnahme des Stammhauses alle Oppermann-Geschäfte in den Deutschen Möbelwerken aufgehen werden. Liselotte sitzt schön und stattlich da. Sie neigt sich ein wenig vor, während Martin spricht, ihre länglichen, grauen Augen suchen seine trüben, braunen, ihr helles Gesicht wird ernst. »Alle?« fragt sie. »Alle Oppermann-Filialen?« Ihre dunkle Stimme ist auffallend leise. »Es ist nicht leicht, Liselotte«, sagt Martin. Liselotte erwidert nichts. Sie rückt nur den Stuhl etwas vor, näher an ihn heran. Martin hat gehofft, sie werde es leichtnehmen. Jetzt ist es ihm ein großer Trost, daß er sich getäuscht hat.
Gustav Oppermann bat Ellen Rosendorff, mit ihm hinüber ins Arbeitszimmer zu gehen. Sie hatten Tee getrunken, hatten geschwatzt, es war ein angenehmer Nachmittag. Ellen, im Arbeitszimmer, legte sich auf die breite Couch, Gustav schaltete Licht ein, nicht zuviel, setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. »Und jetzt, Ellen«, sagte er und bot ihr eine Zigarette an, »was wollen Sie mir erzählen? Was ist los?« – »Nichts und alles«, antwortete Ellen. Sie blieb liegen, das schöne, dunkelhäutige Gesicht im Halbschatten, sie tat einpaar Züge aus der Zigarette. Dann, leichthin, sagte sie: »Ich habe Schluß gemacht.«
»Mit wem?« fragte Gustav, ein bißchen blöde. »Mit Monsieur?« – »Mit wem denn, Schäfchen?« erwiderte Ellen. »Ich hatte ihn gern. Ich habe mich oft gefragt, ob ich ihn auch möchte, wenn er nicht zufällig der Kronprinz wäre. Ich glaube: ja. Übrigens paßte alles an ihm so gut zusammen. Genauso hat der Kronprinz zu sein, dieser Kronprinz.«
»Und jetzt hat es auf einmal nicht mehr zusammengepaßt?«
»Es ist natürlich«, meinte Ellen, »daß ihm der Verlauf der Dinge willkommen ist. Er wäre ein Narr, wenn er sie nicht förderte. Trotzdem er eigentlich kein Schicksal haben könnte, das ihm besser steht als das eines nichtamtierenden Kronprinzen. Ich nehme es ihm natürlich nicht übel, daß er mit dem Gedanken spielt, bei Gelegenheit wieder zu amtieren. Warum soll man die Völkischen nicht verwenden, wenn sie einem nützlich sind? Es gibt auch eine Menge jüdischer Firmen, die ihnen ihre Uniformen liefern, ihre Möbel, ihr Fahnentuch.
Weitere Kostenlose Bücher