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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Nur darf man über dem Geschäft nicht vergessen, aus was für einem Stoff diese Zeitgenossen gemacht sind. Man benützt sie und wäscht sich die Hände. Er weiß das genausogut wie wir. Er hat Witze über den Führer gerissen wie wir alle, er hat schallend gelacht, wenn man aus seinem Buch vorgelesen hat. Er kann gut lachen. Und jetzt, stellen Sie sich vor, Gustav, seitdem der Mann Kanzler geworden ist, nimmt er ihn ernst. Er wagt es, mir gegenüber zu behaupten, der Führer sei wer. Erst dachte ich, er mache einen Witz. Aber er bleibt dabei. Er hat es sich so lang und gründlich vorgelogen, daß nichts mehr zu machen ist. Die Welt ist häßlich geworden, Gustav.«
    Gustav hörte ihr ernsthaft und zärtlich zu. Daß er so gut zuhören konnte, daß er mit allen Sinnen auf ihre Angelegenheiten einging, das machte ihn den Frauen so wert. Durch ihre leichte, schnodderige Art hindurch spürte er, wie sehr sie der Bruch mit dem Prinzen mitgenommen haben mußte.Er konnte sich vorstellen, wie es gewesen sein mochte. Sie hat eine politische Auseinandersetzung mit dem Prinzen gehabt, und der, salopp wie er war, hatte wahrscheinlich aus seinem Antisemitismus kein Hehl gemacht. Gustav sagte nichts, setzte sich zu ihr auf die Couch, nahm ihre Hand, streichelte ihre dunkle, sanfte Haut.
    »Ist es nicht merkwürdig, Gustav?«, sagte sie nach einer Weile. »Der Mann weiß um die Zusammenhänge so gut wie Sie und ich. Die völkische Bewegung war im Versacken, die Großindustrie gab kein Geld mehr. Der Führer war erledigt. ›He was over.‹ Ich habe selbst gehört, wie Monsieur das zu einem Engländer sagte. Es war aus. Eine kleine Gruppe verantwortungsloser Großagrarier, weil sie nicht mehr weiter wußte, hat jetzt die Schleusen der Barbarei aufgemacht. Der Führer hat für diesen seinen ›Erfolg‹ nicht mehr getan als Sie oder ich. Selbst Papa Hindenburg, dem man die Erlaubnis abgepreßt hat, hat mehr dafür getan. Und da wagt man, mir zu sagen, der Erfolg erweise, daß an dem Führer etwas sei.
    Wissen Sie«, klagte sie weiter, »diese Sache hat alle meine Anschauungen über Größe umgeschmissen. Erschreckt frage ich mich, ob man nicht vielleicht auch die Größe anderer Männer erst hinterher aus solchen Erfolgen zusammenfrisiert hat. Schauerlich, zu denken, daß vielleicht hinter einem Cäsar nichts anderes gesteckt hat als hinter diesem.« Gustav lächelte. »Darüber kann ich Sie beruhigen, Ellen. Von den meisten großen Männern haben wir authentische Zeugnisse über das, was sie faktisch taten, und das, was sie gedacht haben. Cäsar zum Beispiel hat zwei Bücher hinterlassen. Wenn Sie wollen, Ellen, dann lese ich Ihnen eine Seite aus Cäsars ›Gallischem Krieg‹ vor, und hinterher eine Seite aus dem Buche ›Mein Kampf‹.«
    Ellen lachte. »Trösten Sie mich nur, Gustav«, bat sie. »Ich habe es nötig.« Aber gleich wurde sie wieder ernst. »Wenn man wüßte, wie lange es dauert«, grübelte sie. »Es ist eine Panik«, erklärte ungestüm Gustav, »nichts weiter.« Allein Ellen schaute ihn ernst an und schüttelte langsam den schönen,biblischen Kopf. »So billig, Gustav«, sagte sie, »sollten Sie mich nun doch nicht trösten wollen.« – »Sie glauben das nicht?« fragte Gustav zurück, betroffen, peinlich überrascht. »Wie sonst, glauben Sie, daß die Sache weiter laufen wird?« Er fragte dringlich. Das Urteil des Mädchens schien ihm plötzlich bedeutungsvoller als das Urteil seines klugen Freundes Mühlheim; er wartete gespannt auf ihre Antwort.
    »Halten Sie mich für den Hellseher Hanussen?« lächelte Ellen. »Ein einziges steht fest. Mit der gleichen Sicherheit, mit der man nach dem Eintritt Amerikas in den Krieg wußte, daß der Krieg verloren war, mit der gleichen Sicherheit weiß ich, daß die Sache der Völkischen nicht gut enden kann. Aber wann das Ende kommen wird und wie und ob dieses Land darüber kaputtgehen wird« – sie zuckte die Achseln.
    »Was reden Sie da, Ellen?« fragte Gustav, zog die Brauen hoch, ließ aber ihre Hand nicht los. »Weil ein törichter Prinz sich der Barbarei in die Arme geworfen hat, glauben Sie, daß ganz Deutschland in Barbarei versinkt?« – »Ich glaube gar nichts«, erwiderte ruhig Ellen. »Ich sage mir nur, daß es leicht ist, die Barbaren zu entfesseln, aber schwer, sie wieder unterzukriegen. Die Barbarei hat ihre Reize. Ich selber bin manchmal recht kräftig auf Barbarei eingestellt; ich müßte lügen, wenn ich das nicht zugäbe. Die meisten andern reagieren

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