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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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wahrscheinlich noch stärker darauf.« Sie lag da, schön, traurig, spöttisch, gescheit. Sie tauchte herauf aus dem dummen Abenteuer mit dem Prinzen, durch das sie schamvoll und zynisch gegangen war, nichts bereuend, doch sich selber bespöttelnd. Gustav spürte auf einmal ein brennendes Verlangen. Mit seinen starken, behaarten Händen packte er sie. Den Kopf ganz nah an dem ihren, sprach er dringlich auf sie ein: »Ellen, reisen wir weg aus diesem dummen Berlin. Fahren wir nach den Kanarischen Inseln. Ich schmeiße den Lessing hin. Fahren Sie mit mir, Ellen. Tun Sie’s, Ellen.« Sie streichelte seinen großen, erregten Kopf. »Sie sind ein Kind, Gustav«, sagte sie. »Sie sind schon recht, wie Sie sind. Sie brauchen nicht nach den Kanarischen Inseln, um mir das zu beweisen.«
    Gustav, nachdem sie gegangen war, saß müde, befriedigt. Er hatte den Abend allein verbringen wollen, am Lessing arbeitend. Jetzt sehnte er sich nach Menschen, nach Gespräch. Er ging in den Theaterklub.
    Hier war die Stimmung nicht schlecht. Die Wirtschaft quittierte die Ernennung des Führers zunächst mit einem gewissen Optimismus. Der Führer, urteilslos nachplappernd, was man ihm suggerierte, war fest in der Hand des Großkapitals. Er wird sich vor Experimenten hüten, dessen war man sicher. Die Großagrarier und die Herren von der Großindustrie, die seinerzeit und so lange die viel klügeren Sozialisten einzuwickeln verstanden, werden mit den täppischen Hakenkreuzlern mühelos fertig werden. Sie wissen schon, warum sie sie an die Macht gelassen haben. Keine Bange. Vorne wird großes Theater gemacht, hinten Geschäft wie immer.
    Gustav sprach wenig, hörte viel. Politische, wirtschaftliche Dinge interessierten ihn nicht sehr. In sein eigenes Leben, ins Geistige wird die Veränderung nicht übergreifen. Diese Überzeugung festigte sich ihm immer mehr. Er begriff kaum mehr, daß er sich von der Panik ringsum hatte anstecken lassen. Die Szene, die er da im Kontor Martins aufgeführt hat, ekelhaft. Fünfzig Jahre und immer noch unbeherrscht wie ein Kind. Aber von jetzt an wird er sich in der Hand halten. Nichts mehr von Politik. Schluß mit dem ganzen läppischen, überflüssigen Gequassel.
    Er trank. Spielte eine Partie Ekarté. Spielte ziemlich unachtsam. Nahm es als gutes Zeichen, daß er gewann.
    Als er ging, stand in der Nähe des Spielsaaleingangs der alte Klubdiener Jean. Es hatte sich die Gewohnheit herausgebildet, daß Gustav, wenn er im Gewinn war, sich ein Fünfmarkstück zurückbehielt, um es Jean in die Hand zu drücken. So auch heute. Die würdige Art, wie der Alte dankte, unmerklich und doch betont, machte Gustav Freude. Er ging ein Stück Wegs zu Fuß nach Haus durch die frische Winternacht. Leben war leicht und angenehm wie je.
    Er schlief gut und erwachte voll Zuversicht. Die Arbeit gedieh;Dr. Frischlin, der seine Stellung im Geschäft aufgegeben hatte und nun regelmäßig den Vormittag über mit ihm arbeitete, hatte ein paar gute Einfälle. Auch die Post war angenehm. Am erfreulichsten der Brief eines Bekannten aus dem Bibliophilenverein, eines angesehenen Schriftstellers, der ihn aufforderte, ein Manifest gegen die zunehmende Barbarisierung des öffentlichen Lebens mit zu unterzeichnen. Gustav lächelte, trotzdem er allein war, fast kindlich, verlegen. Schätzte man seine literarischen Arbeiten so hoch ein, daß man sich von seiner Unterschrift etwas versprach? Er las den Brief noch einmal. Unterzeichnete.
    Professor Mühlheim, als er ihm davon erzählte, reagierte sehr anders, als Gustav erwartet hatte. »Deine literarischen Ambitionen in Ehren, Oppermann«, sagte er verdrießlich, »aber ich hätte mir diese Unterschrift verkniffen.« Gustav zog die Brauen hoch, scharf zackten sich die senkrechten Oppermannschen Falten über seiner Nase. »Möchtest du mir nicht erklären, Mühlheim, warum?« bat er bösartig. »Braucht es da viel Erklärungen?« fragte unmutig Mühlheim zurück. »Was versprichst du dir von so einem Manifest? Glaubst du, daß eine so lahme akademische Geschichte in irgendeinem Ministerialbüro Eindruck macht?« Und da Gustav offenbar immer noch nicht verstand, legte er los: »Ich muß dir schon sagen, du bist verboten naiv. Glaubst du, daß die Wirkung dieses Aufrufs in irgendeinem vernünftigen Verhältnis steht zu dem Preis, den du dafür wirst zahlen müssen? Siehst du denn nicht, Mensch, was für ein Bouillon du dir und den andern Oppermanns zusammenkochst? Du kannst jetzt was erleben in der

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