Die Gesellschaft des Abendsterns
zusammen und trat dem Wiedergänger in die Kniekehle. Das Knie gab nach, und der Wiedergänger fiel. Seth stolperte vorwärts und kniete sich auf die Brust des Zombies. Er spürte, wie dessen vorstehende Rippen gegen seine Schienbeine drückten.
Der Wiedergänger funkelte ihn an. Seth konnte sich nicht bewegen. Seine Arme zitterten. Der letzte Funke Zuversicht erstarb. Seth spürte, wie die heranrollende Flut irrationaler Angst ihn zu verschlingen drohte. Es konnte höchstens noch eine Sekunde dauern. Der Wiedergänger bewegte beide Hände langsam, aber zielstrebig auf Seths Hals zu.
Seth dachte an all die Menschen, die von ihm abhingen. Coulter hatte sich für ihn geopfert. Kendra war allein in der Hütte. Seine Großeltern und Dale waren im Kerker gefangen. Er konnte es schaffen. Mut war sein Ding. Es brauchte nicht schnell zu gehen. Er musste es lediglich zu Ende bringen.
Seth konzentrierte sich auf den Nagel und bewegte die Zange darauf zu. Er konnte sich nicht schnell bewegen. Es war, als sei die Luft zu einer zähen Masse geworden. Sobald er versuchte, seine Hand schneller zu bewegen, erstarrte er vollends. Langsam und stetig rückte die Hand mit der Zange voran.
Die Hände des Wiedergängers griffen nach seiner Kehle. Finger, so kalt, dass sie brannten, gruben sich in sein Fleisch. Der Rest von Seths Körper war vollkommen taub.
Es scherte ihn nicht. Die Zange bewegte sich weiter. Starke, unbarmherzige Finger drückten seinen Hals fester zusammen. Seth packte den hölzernen Nagel mit der Zange. Er versuchte, ihn herauszureißen, aber der Nagel bewegte sich nicht.
Seth hatte das Gefühl, zu ertrinken. Der Funke Zuversicht war erloschen, doch blieb ihm eine grimmige Entschlossenheit. Das einzige körperliche Gefühl war der sengende Schmerz in seinem Hals. Sein Arm fühlte sich so an, als gehöre er nicht mehr zu ihm, doch langsam, unendlich langsam begann der Nagel sich zu bewegen, und Seth beobachtete, wie er Zentimeter um Zentimeter herausglitt. Der Nagel war länger, als er erwartet hatte. Stück für Stück kam er aus dem Hals des Wiedergängers, löste sich ohne einen Tropfen Blut aus dem Loch, in dem er so lange gesteckt hatte. Seths Hand wurde langsamer. Der Würgegriff des Wiedergängers raubte ihm den Atem. Schweiß benetzte seine Stirn.
Mit traumgleicher Langsamkeit glitt der Rest des langen hölzernen Nagels aus dem Hals. Seth sah einen winzigen Zwischenraum zwischen der Spitze des Nagels und dem jetzt leeren Loch. Einen Moment lang glaubte Seth, in den Augen des Wiedergängers etwas aufflackern zu sehen, Erleichterung, während das grauenerregende Lächeln eine Spur menschlicher wurde.
Die Luft war nicht mehr fest, und er fiel, und um ihn herum wurde alles dunkel.
KAPITEL 19
Der umgekehrte Turm
I n eine Decke gewickelt, saß Kendra rittlings auf einem dicken Ast in einem Baum, von dem sie einen guten Blick auf die Hütte hatte. Die Nacht war gerade so kühl, dass sie dankbar für die Decke war, die im Moment genau wie der Rest von ihr unsichtbar war. Kurz zuvor war sie noch kreuz und quer durch das Gelände um die Hütte herumgelaufen und hatte mehrere andere Bäume berührt, für den Fall, dass ein Kobold versuchte, ihre Witterung aufzunehmen.
Kendra war sehr erschöpft, aber ihre prekäre Lage half ihr, wach zu bleiben. Falls sie einnickte, würde sie gut drei Meter tief fallen und von einem nicht allzu weichen Boden sehr unsanft geweckt werden. Den größten Teil ihrer Zeit, die sie rittlings auf dem Ast saß, hatte sie damit verbracht, abwechselnd wütend auf Seth zu sein und sich dann wieder um ihn zu sorgen. Es war nicht fair, dass er sie in dieser brenzligen Lage im Stich gelassen hatte, ebenso wenig wie es fair war, dass er etwas unternommen hatte, ohne sich mit ihr abzusprechen. Aber ihr war auch klar, dass er versuchte, zu tun, was er für richtig hielt, und dass er wahrscheinlich einen hohen Preis für seine irregeleitete Tapferkeit zahlen würde, was ihr einen Grund gab, ihre Wut ein wenig zu zügeln.
Angespannt und ängstlich hielt Kendra Augen und Ohren offen nach jedem noch so kleinen Anzeichen, dass sich ein Feind näherte oder Mendigo zurückkehrte. Sie war sich nicht sicher, wie sie vorgehen sollte, wenn Mendigo auftauchte.
Obwohl es zu spät war, um Seth zu retten, wollte der größere Teil ihres widerstreitenden Bewusstseins ihn suchen, statt aus Fabelheim zu flüchten. Gleichzeitig wusste sie, dass der Sphinx – falls sie ihn finden konnte – wahrscheinlich
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