Die Gesellschaft des Abendsterns

geschrieben haben musste, und der größte Teil der Schrift konzentrierte sich auf Bereiche, die von dem kleinen Fenster schwer einsehbar waren.
    Mit wachsendem Erstaunen und einiger Bestürzung las Kendra die folgende Nachricht:
    Liebe Kendra,
    ich habe überaus wichtige Informationen für dich. Nennen wir es eine letzte Unterweisung und ein boshaftes Abschiedsgeschenk an meine verräterischen Arbeitgeber. Du wirst dich sicher erinnern, wie die lehrbuchmäßige Infiltration durch ein Mitglied der Gesellschaft des Abendsterns aussieht: Man schaffe eine Bedrohung und komme dann zu Hilfe, um Vertrauen aufzubauen. So hat es Errol mit dir und Seth gemacht. Dann habe ich das Gleiche mit euch und euren Großeltern gemacht und so getan, als wäre ich ein Teil der Lösung und nicht die Ursache des Problems. Tatsächlich habe ich euch die meiste
Zeit geholfen, bis der Augenblick des Verrats kam. Auch andere haben diese Vorgehensweise benutzt, mit unendlicher Raffinesse und Geduld. Namentlich der Sphinx.
    Du wirst natürlich zögern, meinen Worten zu glauben, und ich kann nicht beweisen, dass ich Recht habe. Durch meine Gaben bekam ich Zugang zu Geheimnissen, die meine Neugier anstachelten, und als ich tiefer grub, förderte ich eine Wahrheit zutage, die ich besser unentdeckt gelassen hätte. Der Sphinx ahnt bereits, dass ich sein Geheimnis kenne, weshalb er mich in die Stille Kiste sperren wird. Lieber wäre es ihm allerdings, wenn er mich hinrichten lassen könnte. Ich arbeite für ihn, aber eigentlich darf ich die Identität meines Auftraggebers nicht kennen. Nur wenige wissen, wer der rätselhafte Anführer der Gesellschaft des Abendsterns ist. Ich glaube, dass der Sphinx schon seit Monaten den Verdacht hegt, ich könnte seine wahre Identität erraten haben. Seine groß angelegte Intrige erfordert äußerste Diskretion, alle Einzelheiten mussten und müssen sorgfältig geplant und minutiös umgesetzt werden. In seinen Augen bin ich zu einer Belastung geworden.
    Der Sphinx hätte behaupten können, er verfüge über ein Gefängnis, das mich festhalten und meine Macht brechen könne. Er hätte mich mitnehmen können. Und wenn er das getan hätte, hätte er sich damit meine unerschütterliche Loyalität verdient. Ich selbst wäre noch immer im Zweifel über seine Absichten, aber Lich, der die Dynamik der Situation nicht vollkommen zu verstehen scheint, machte Andeutungen über die Stille Kiste, und so räche ich mich nun mit dieser Botschaft.
    Bedenke, welch ein Coup dies für den Sphinx ist. Als enttarnte Verräterin bin ich für die Gesellschaft nicht mehr zu gebrauchen. Also lässt er mich in das sicherste Gefängnis
auf dem gesamten Anwesen sperren, wodurch er die Wahrheit noch weiter verschleiert und gleichzeitig als Held und verlässlicher Freund Fabelheims dasteht. Sollte sich sein Verdacht bestätigen, dass ich seine wahre Identität kenne, bin ich dauerhaft aus der Gleichung entfernt. Was gibt es sonst noch zu sagen? Er befreit einen Gefangenen, der zweifellos ein mächtiger Verbündeter ist! Und er spaziert mit dem Artefakt davon, das für ihn zu beschaffen der Auftrag war, mit dem ich hierher geschickt wurde!
    Natürlich könnte ich das alles erfunden haben. Halte die Augen offen, und die Zeit wird meine Version der Dinge bestätigen. Der Grund, weshalb der Sphinx so vieles weiß und Gefahren so gut voraussieht, liegt darin, dass er auf beiden Seiten spielt. Er verursacht die Gefahr und bietet dann seinen Rat an, bis der perfekte Augenblick für den Verrat gekommen ist. Wer weiß, wie viele der Artefakte er schon zusammengetragen hat? Er ist seit Jahrhunderten damit beschäftigt! Seine Vorgehensweise in Fabelheim und Brasilien legt nahe, dass er zu dem Schluss gekommen ist, von nun an aggressiver vorzugehen. Sei auf der Hut, der Abendstern geht auf.
    Hätte er mir vertraut, wäre sein Geheimnis noch immer sicher. Aber er hat mich verstoßen und mich unterschätzt, und so wird sein Geheimnis offenbar. Meine Loyalität gehört ihm nicht länger. Ich weiß noch viel mehr, das dir und deinen Großeltern von Nutzen sein könnte. Wenn nicht deine Freundin, so deine Desillusioniererin, Vanessa

Danksagung
    E in Buch zu schreiben ist etwas sehr Persönliches, aber es mit anderen zu teilen, macht eine öffentliche Angelegenheit daraus. Ich habe vielen zu danken, die dazu beigetragen haben, dass die Fabelheim-Serie so weit gediehen ist.
    Meine Frau ist dem Entstehungsprozess am nächsten. Sie liest meine Arbeit Kapitel für