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Die Gesellschaft des Abendsterns

Die Gesellschaft des Abendsterns

Titel: Die Gesellschaft des Abendsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Mull
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unter den Sternen, hatte er plötzlich das Gefühl, dass sie Recht gehabt haben könnte.
    Seth holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er war genau da, wo er sein wollte. Deshalb hatte er Kendra zurückgelassen. Na schön, er war ein wenig nervös, aber mit einer ordentlichen Dosis Mut müsste die Aufgabe zu lösen sein. Und wenn die grausige Angst vor dem Wiedergänger zu wirken begann, würde er sich einen weiteren Schluck genehmigen. Er musste es tun, genauso wie Kendra sich auf die Suche nach dem Sphinx machen musste. Beide Unternehmungen waren riskant, aber beide waren notwendig.
    Seth legte den großen Schlüssel auf den Boden, entkorkte die Flasche und hob sie an die Lippen. Obwohl er die kleine Phiole fast senkrecht hielt, tröpfelte der Trank nur in einem dünnen Rinnsal heraus. Er schüttelte das Fläschchen, bis er grob ein Viertel des Inhalts geleert hatte.
    Die Flüssigkeit brannte. Einmal hatte Seth in einem mexikanischen Restaurant mit Kendra gewettet, dass er Chili-Soße direkt aus der Flasche trinken könnte. Es war brutal. Er hatte sich den Mund voll Pommes frites stopfen und jede Menge Wasser hinterherkippen müssen, um das Brennen zu lindern. Aber das hier war schlimmer  – weniger Geschmack, mehr Brennen.

    Seth hustete, seine Augen tränten, seine Zunge fühlte sich an, als hätte er an einem Bügeleisen geleckt, und seine Kehle brannte, als hätte er glühende Reißzwecken verschluckt. Die Tränen liefen in Strömen über seine Wangen, und er hatte weder Wasser noch etwas zu essen, um den Schmerz zu lindern. Er musste abwarten.
    Dann flaute das Brennen langsam ab, und eine Wärme begann sich in seiner Brust auszubreiten. Seth grinste zu den dunklen Bäumen hinüber. Sie wirkten weit weniger einschüchternd als zuvor. Hatte er tatsächlich Angst gehabt? Warum, etwa weil es dunkel war? Er hatte eine Taschenlampe. Er wusste genau, was dort drüben auf ihn wartete  – ein ausgezehrtes Wrack von einem Mann, so zerbrechlich, dass er ihn mit einem Niesen umblasen konnte. Eine Kreatur, die so daran gewöhnt war, dass ihre Opfer vor Angst zusammenbrachen, dass sie wahrscheinlich jedwede Fähigkeit verloren hatte, es mit einem richtigen Gegner aufzunehmen.
    Seth warf einen Blick auf den langen Schlüssel. Mit der Taschenlampe, dem Trank und der Zange in den Händen konnte er nichts mehr tragen. Also steckte er die Zange in die Hosentasche, hielt mit der einen Hand die Taschenlampe und den Trank umklammert, während er mit der anderen den Schlüssel umfasste. Dann marschierte er über die Lichtung, die ihn von dem Hain trennte, und fand sich schon bald inmitten der Bäume wieder. Er versuchte, nicht zu lächeln, aber das Grinsen wollte einfach nicht weggehen. Weshalb hatte er sich eigentlich solche Sorgen gemacht? Wieso hatte Kendras Unbehagen in ihm auch nur für eine Sekunde Zweifel geweckt? Es würde ein Kinderspiel werden.
    Er blieb stehen, legte seine Sachen ab und begann in die Luft zu boxen, um sich ein wenig aufzuwärmen. Wow, er hatte gar nicht gemerkt, wie schnell seine Rechte geworden
war! Und seine Linke war auch ziemlich gut. Er war eine Killer-Maschine! Vielleicht würde er der Kreatur ein oder zwei Haken verpassen, nur so zum Spaß. Er würde mit dem Freak spielen, bevor er ihn von seinem Elend erlöste. Würde dem jämmerlichen Monstrum zeigen, was mit jemandem passiert, der sich mit Seth Sørensen anlegt.
    Er hob seine Sachen wieder auf und ging tiefer in den Hain hinein. Die Luft wurde stetig kühler. Seth leuchtete mit seiner Taschenlampe seine direkte Umgebung ab, weil er dem Wiedergänger keine Chance lassen wollte, sich an ihn heranzuschleichen. Das letzte Mal war er vor Angst erstarrt gewesen, vollkommen hilflos. Diesmal würde er den Verlauf der Begegnung diktieren.
    Seth begann eine ungewöhnliche Taubheit in seinen Zehen wahrzunehmen. Es erinnerte ihn daran, wie er einmal mit viel zu kleinen Stiefeln Ski gefahren war. Er blieb stehen, stampfte mit den Füßen auf und versuchte, wieder Gefühl in ihnen zu bekommen, aber stattdessen breitete die Taubheit sich nun auch auf seine Knöchel aus. Er begann zu zittern. Wie war es so schnell so kalt geworden?
    Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Seth wirbelte herum und richtete seine Taschenlampe auf den näher kommenden Wiedergänger. Die Kreatur war noch ein ganzes Stück entfernt, kaum sichtbar zwischen den Bäumen.
    Die Taubheit hatte sich bis zu seinen Knien ausgebreitet, und seine Finger wurden langsam steif und

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