Die Gesellschaft des Abendsterns
machen, so perfekt wie möglich, ohne die Grenze zu überschreiten. Weil es eine Möglichkeit gibt, den Zzyzx zu öffnen, bleibt die Magie, die die Dämonen dort festhält, in Kraft. Das Prinzip klingt simpel, obwohl die Einzelheiten sehr kompliziert sind.«
Kendra rutschte in ihrem Sessel hin und her. »Wenn die Gesellschaft also einfach die Schlüssel zerstören würde, würde das die Magie entwirren und das Gefängnis öffnen?«
»Gut mitgedacht«, sagte der Sphinx, und seine dunklen Augen funkelten. »Aber es gibt drei Probleme. Erstens, die Schlüssel sind praktisch unzerstörbar — aber denke daran, dass ich praktisch sage; sie wurden von denselben Experten gemacht, die das Gefängnis schufen. Zweitens, wenn meine Nachforschungen korrekt sind, haben diese Experten auch Vorkehrungen dafür getroffen, dass ein zerstörter Schlüssel sofort an einem unbekannten Ort und in veränderter Gestalt neu erschaffen wird, und dieser Prozess kann beinahe unendlich oft wiederholt werden. Und drittens, sollte die Gesellschaft die Dämonen tatsächlich befreien, indem sie ein Artefakt dauerhaft zerstört, würde sie wie der Rest der Menschheit den befreiten Dämonen zum Opfer fallen. Die Gesellschaft muss mit den Dämonen verhandeln, bevor sie sie freilässt, um sich ein gewisses Maß an Schutz zu sichern, was bedeutet, dass sie das Gefängnis mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel öffnen muss, statt lediglich die Magie zu unterwandern, die das Schloss schützt.«
Kendra trank den letzten Schluck von ihrer Vanillelimonade und spürte die Eisstückchen auf ihren Lippen. »Also braucht sie die Artefakte.«
»Und deshalb müssen wir die Artefakte vor ihr schützen. Was leichter gesagt, als getan ist. Eine der größten Tugenden der Gesellschaft ist Geduld. Sie unternimmt keine übereilten Schritte. Sie stellt Nachforschungen an und plant und bereitet sich vor. Sie wartet auf den idealen Zeitpunkt. Ihre Mitglieder wissen, dass sie unbegrenzt Zeit haben, ihr Vorhaben durchzuführen. Ob sie ihre Ziele erst in tausend Jahren erreichen oder schon morgen triumphieren, ist ihnen vollkommen gleichgültig. Geduld ahmt die Macht der Unendlichkeit nach. Und niemand kann einen Wettstreit mit der Unendlichkeit gewinnen. Ganz gleich, wie lange man lebt, verglichen mit der Unendlichkeit ist es nicht mehr als ein Wimpernschlag.«
»Aber die Mitglieder der Gesellschaft leben nicht unendlich lange«, wandte Kendra ein.
Der Sphinx blinzelte. »Das ist richtig. Und deshalb versuchen wir, ihnen an Geduld und Eifer gleichzukommen. Wir versuchen, ihnen immer möglichst weit voraus zu sein. Ein Teil dieser Strategie ist es, ein Artefakt zu verlegen, sobald die Gesellschaft von seinem Standort erfahren hat — wie es, wie wir befürchten, bei dem Artefakt in Fabelheim geschehen ist. Anderenfalls würde die Gesellschaft irgendwie, irgendwann einen Fehler ausnutzen und es in die Hände bekommen.«
»Opa hat noch ein anderes gefährdetes Artefakt erwähnt, in Brasilien.«
»Einige meiner besten Leute arbeiten daran. Ich glaube, das Artefakt befindet sich immer noch in dem gefallenen Reservat, und ich glaube, dass wir es vor der Gesellschaft in unseren Besitz bringen werden.« Er hob seine Hände. »Und falls es der Gesellschaft doch gelingt, das Artefakt zu finden, werden wir es zurückstehlen müssen.«
Der Sphinx sah Kendra mit unergründlichen Augen an. Kendra wandte den Blick ab. »Welchen meiner Briefe hast du gelesen?«, fragte er unvermittelt.
»Brief?«
»Alle meine Briefe tragen einen Zauber. Sie hinterlassen ein Zeichen an jenen, die sie heimlich lesen. Du trägst dieses Zeichen.«
Kendra hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Wann sollte sie einen Brief des Sphinx gelesen haben? Dann fiel ihr plötzlich der Brief ein, den sie im vergangenen Sommer gelesen hatte, während Opa schlief, nachdem er bis spät in die Nacht hinein mit Maddox verhandelt hatte. Natürlich! Der Brief war mit »S« unterschrieben gewesen. »S« für Sphinx!
»Es war ein Brief, den Sie Opa letztes Jahr geschrieben haben.
Er hat ihn versehentlich offen liegen lassen. Sie haben ihn vor der Gesellschaft des Abendsterns gewarnt. Ich habe den Brief gelesen, weil ich dachte, er könnte etwas mit meiner Oma zu tun haben. Sie war verschwunden.«
»Sei froh, dass du ihn nicht mit böser Absicht gelesen hast. Dann hätte der Brief sich nämlich in giftigen Dampf verwandelt.« Er faltete seine Hände auf dem Schoß. »Wir sind fast fertig. Hast du noch irgendwelche
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