Die Gesellschaft des Abendsterns
und deutete auf die Sofas. Dann wandte er sich an Kendra und zeigte auf eine Tür auf der anderen Seite des Raums. Kendra sah Oma fragend an, und sie nickte. Seth warf sich auf einen Sitzsack.
Als sie vor der Tür stand, zögerte Kendra. Nach der
schweigsamen Autofahrt und inmitten dieser ungewöhnlichen Umgebung fühlte sie sich alles andere als wohl. Die Aussicht, allein vor den Sphinx zu treten, war irgendwie beunruhigend. Sie blickte über ihre Schulter. Sowohl Oma als auch Mr. Lich bedeuteten ihr einzutreten. Kendra klopfte leise an. »Herein«, erklang eine tiefe Stimme, kaum laut genug, um sie zu hören.
Sie öffnete die Tür. Ein roter Vorhang mit Goldquasten und Stickereien versperrte ihr die Sicht. Sie trat durch den Samtvorhang, und die Tür schloss sich hinter ihr.
Neben einem Kicker stand ein dunkelhäutiger Mann mit kurzen Dreadlocks, in die Perlen eingeflochten waren. Seine Haut war nicht hell- oder dunkelbraun — sie war praktisch schwarz, so schwarz, wie Kendra es noch nie gesehen hatte. Der Mann war von durchschnittlicher Größe und Körperbau und trug ein weites graues Hemd, Cargohosen und Sandalen. Sein schön geschnittenes Gesicht hatte etwas Altersloses; er hätte in seinen Dreißigern sein können oder auch in seinen Fünfzigern.
Kendra sah sich in dem weitläufigen Raum um. In einem großen Aquarium entdeckte sie allerlei bunte tropische Fische. Von der Decke baumelten filigrane Mobiles aus Metall. Sie zählte mindestens zehn sehr ungewöhnlich aussehende Uhren auf Tischen und Regalen sowie an den Wänden. Eine aus Müll gefertigte Skulptur stand neben einer lebensgroßen hölzernen Statue eines Grizzlybären. In der Nähe des Fensters befand sich ein kunstvolles Modell des Sonnensystems, dessen Planeten und Monde mit Hilfe von Drähten auf ihrer Position gehalten wurden.
»Wollen wir eine Runde Kicker spielen?« Sein Akzent klang irgendwie karibisch, aber doch nicht ganz.
»Sind Sie der Sphinx?«, fragte Kendra, verwirrt von der ungewöhnlichen Einladung.
»Der bin ich.«
Kendra näherte sich dem Tisch. »In Ordnung, klar.«
»Cowboys oder Indianer?«
Auf den Stäben steckten keine Nachbildungen von Fußballspielern, sondern von Indianern und Cowboys. Die Cowboys sahen alle gleich aus, ebenso die Indianer. Die Cowboys hatten einen weißen Hut und einen Schnurrbart, ihre Hände ruhten auf den Revolvern, die in ihren Pistolenhalftern steckten. Die Indianer trugen einen Federkopfschmuck und hatten ihre rötlich braunen Arme vor der nackten Brust verschränkt. Die Füße der Figuren bestanden aus einem einzigen Block, um den Ball besser treffen zu können.
»Ich nehme die Indianer«, sagte Kendra. Sie hatte im Jugendzentrum zuhause ab und zu Tischfußball gespielt. Normalerweise schlug Seth sie dabei in zwei von drei Spielen.
»Ich muss dich vorwarnen«, bemerkte der Sphinx, »ich bin nicht besonders gut.« In seiner Stimme lag eine Weichheit, die in Kendras Kopf Bilder von altmodischen Jazzclubs aufsteigen ließ.
»Ich auch nicht«, gestand Kendra. »Mein kleiner Bruder schlägt mich meistens.«
»Möchtest du den Ball einwerfen?«
»Klar.«
Er gab ihr den leuchtend gelben Ball. Sie legte die linke Hand auf den Griff, mit dem der Torwart gespielt wurde, warf den Ball mit der rechten in den Schlitz und begann wie wild ihre Indianer zu drehen, während der Ball in die Mitte des Tisches rollte.
Der Sphinx bediente seine Cowboys mit etwas mehr Ruhe und machte schnelle, präzise Bewegungen, um Kendras verwegenes Drehen zu kontern. Es dauerte nicht lange, bis Kendra ihr erstes Tor erzielte.
»Gut gemacht«, sagte er.
Kendra stellte die Anzeige an ihrem Ende des Tisches auf 1:0. Der Sphinx nahm den Ball aus seinem Tor und warf ihn durch den Schlitz. Der Ball rollte zu seinen Cowboys. Geschickt gab er ihn zu seiner vordersten Stürmerreihe weiter, aber den anschließenden Schuss konnte Kendra parieren. Ihre Indianer drehten sich wie wild und trieben den Ball umbarmherzig auf die Cowboys zu, bis sie ein zweites Tor erzielten. Wieder schob der Sphinx den Ball in den Schlitz. Mit neuem Selbstvertrauen griff Kendra jetzt noch aggressiver an und gewann das Spiel am Ende mit fünf Toren gegen zwei.
»Ich fühle mich wie General Custer«, sagte der Sphinx. »Du hast gut gespielt. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten? Apfelsaft? Vanillelimonade? Schokoladenmilch vielleicht?«
»Vanillelimonade klingt gut«, antwortete Kendra. Nachdem sie ihn so deutlich geschlagen hatte, fühlte sie
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