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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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zusehends in Verzückung und legte sich so richtig ins Zeug. »Von blond bis schwarzhaarig, von gelockt bis kurzgeschnittener Bubikopf ist alles möglich.« Der Verkäufer präsentierte ihr verschiedene Modelle, stülpte Kunsthaar und Echthaar auf einen Puppenkopf. Mit seinen perfekt manikürten, langen glänzenden Fingernägeln, die ihm als Kamm dienten, drapierte er Perücken, trat mit dem Puppenkopf in der Hand vor die Tür. »Im Tageslicht wirkt ja alles nochmal anders.«
    Carina entschloss sich für eine hellbraune, leicht gewellte Perücke, bei der man die Haare zusammenbinden oder kürzen konnte. Sie bat um eine Quittung und bezahlte.
    Im Kaufhof ließ sie sich von der Menge durch die Etagen schieben. Sportwelt, Dessouswelt, Kinderwelt. Erst Sport, dann Sex, dann Kinder? Haushaltswelt, dort war sie richtig, im vierten Stock. Anstatt sich auf die Waren zu konzentrieren, beobachtete sie die Leute und hörte Gesprächen zu. Die schienen alle zu wissen, was sie für ihre Wohnungen brauchten, sie dekorierten und erneuerten, zankten aber auch um jedes Teil, das den Geschmack des anderen nicht traf.
    Möbel, Kochgeschirr, etwa eine Kaffeemaschine wie ihre Eltern? Was brauchte sie eigentlich, ihr fiel nichts ein, und die Liste hatte sie daheim vergessen. Vergeblich versuchte sie sich zu erinnern, was sie aufgeschrieben hatte. Waren es vier Sachen oder fünf? Sie strich über einen Stapel Bettdecken. Halbdaunen oder Kunstfaser? In Wellen abgesteppt oder in Karos, Winter- oder Sommerdecke. Die Auswahl war so groß, dass sie sich nicht entscheiden konnte.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Verkäuferin.
    »No gracias«, erwiderte sie schnell und ging zur Rolltreppe. Eigentlich schlief sie in ihrem Schlafsack wunderbar. Ein Geschirrtuch wäre nützlich und würde, rot oder gelb kariert, ihre altmodische Spüle schmücken. Doch was sollte sie damit abtrocknen? Das Marmeladenglas mit dem Schraubdeckel für den Kaffee »to go« tropfte auch von alleine ab. Sie fuhr ein Stockwerk tiefer. Innerlich zählte sie ihre Besitztümer auf: eine Schachtel Radiergummis und weiche Bleistifte, ihr Modellierwerkzeug, die Kamera für die Rekonstruktionen, zwei Handtücher, ein Stapel T-Shirts, zwei Jeans, einige labbrige Unterhosen und BH s, alle grau verwaschen, und, ach ja, das Tehuana -Kleid vom Markt in Coyoacán. Wanda hätte sich sofort mehrere Teile gegriffen und wäre in der Umkleide verschwunden, um gleich darauf vor dem Spiegel zu posieren und die Stangenware zu kritisieren, die nichts von den Formen echter Weiblichkeit verstand. Aber Carina brauchte nichts Neues zum Anziehen. Wenn sie mal zu essen vergaß, zog sie einen Gürtel in die Jeans, damit sie nicht ganz über ihre Hüfte rutschte. Schlug sie sich nach den anstrengenden Arbeitswochen endlich wieder den Bauch voll, ließ sie einfach den Hosenknopf offen. Tagsüber trug sie einen Kittel, und für festliche Anlässe hatte sie das mexikanische Kleid, in dem sie wie eine blonde Frida-Kahlo aussah, nur an den zusammengewachsenen Augenbrauen musste sie noch arbeiten. Ihre waren zu hell für Vogelschwingen, wie sie die mexikanische Malerin besessen hatte. Schließlich verließ sie die Kaufwelt mit zwei Großpackungen Plastilin, einem Kilo fürs Institut, einem Kilo für zu Hause – bei den Preisen musste sie sich künftig um einen Großhandel kümmern – , dazu weiße Moosgummistangen und Alleskleber aus der Bastelabteilung. Durch den Regen stapfte sie zum Viktualienmarkt, kaufte Schafskäse und eingelegte Tomaten, Auberginen, Artischocken, Fladenbrot, einen bunten Aufstrich mit Oliven und zwei Flaschen Wasser. Ihr Magen knurrte laut, sie konnte es gar nicht mehr erwarten, heimzukommen. Noch fühlte sich der Weg durch den S-Bahn-Schacht am Rosenheimer Platz, die Franziskanerstraße entlang, fremd an. Beim Haus angekommen, suchte sie nach dem Schlüssel. »C.K.« hatte Wanda für sie an die oberste Klingel geklebt. Die dreifarbige Katze des Hausmeisters aalte sich in einem Fleck Abendsonne auf der kleinen Mauer vor dem Sozialamt gegenüber. Hoffentlich wurde sie nicht überfahren. Prompt rollte bimmelnd eine Tram heran. Der Fahrer drohte Carina mit der Faust, weil er bremsen musste und vermutlich glaubte, die Katze gehöre ihr. In letzter Sekunde war die Dreifarbige über die Gleise gesprungen und flitzte an Carina vorbei durch die Katzenklappe der Hausmeistertür, kaum dass sie aufgesperrt hatte.
    Sie stieg durchs Vorderhaus die vier Stockwerke hoch. Wenigstens Teller

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