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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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Rolltreppe zur U-Bahn hinunter beobachtete sie, wie ihr Vater sein inneres Register durchstöberte. Vielleicht legte er sich auch bloß eine Ausrede zurecht, weil er selbst die Akte entliehen hatte und nichts darüber sagen durfte. Konnte er sich wirklich an alle Todesfälle eines Jahres erinnern? Bestimmt nur, wenn es besondere Umstände waren. Selbst sie hatte nicht sofort alle obduzierten Leichen auf Abruf parat, obwohl sie anfangs gedacht hatte, dass sich jede – die Drogentote, das Straßenkind, die bei einer Abtreibung verblutete Halbwüchsige Tote, um die womöglich niemand trauerte – unauslöschlich in ihr Gedächtnis einbrennen würde.
    Es waren noch vier Minuten bis zur nächsten U-Bahn Richtung Innenstadt, als ihr Vater schließlich nickte. »Der Namen sagt mir was, ein gewöhnlicher Selbstmord, soweit ich mich erinnere. Ich habe damals nicht ermittelt, war nur nach Freigabe der Leiche beauftragt worden, die Angehörigen zu besuchen und ihnen zu einer Feuerbestattung zu raten, da die Tote stark entstellt war.«
    Also doch eine Urnenbestattung? Feuer beseitigte alle Widersprüche und Zweifel an der Todesursache, dachte Carina. Luise Salbeck wollte doch eine Exhumierung. Sprachen sie überhaupt von derselben Toten?
    Und wenn es nicht Matte war, wer hatte dann die Akte im Polizeipräsidium? Er belog sie doch nicht etwa … Sie musterte ihn von der Seite. Sie durfte vor ihm keine Geheimnisse haben, aber er offenbarte nichts. Jedenfalls versuchte er es. Seit gestern auf dem Spielplatz wusste sie immerhin, wie sie ihn aus dem Konzept bringen konnte. Einfach indem sie ihr Wissen für sich behielt. Ihr Vater fixierte einen Mann am Süßigkeitenautomat. Vielleicht erkannte er in ihm einen ehemaligen Straftäter wieder.
    Immer mehr Menschen strömten telefonierend, mit Semmeln in der Hand oder Kaffee aus Schnabelbechern schlürfend auf den Bahnsteig. Die U-Bahn hatte Verspätung, wieder einmal.
    »Was ist eigentlich mit dem Tierarzt?«, fragte ihr Vater, erneut ihr zugewandt.
    Wie kam er jetzt auf den? Hatte er doch einen Anflug eines schlechten Gewissens wegen der Adresse? »Wieso, was soll mit ihm sein?« Sie versuchte so gelassen wie möglich zu klingen, doch in ihr brodelte es. Ganz ruhig, zeig ihm deine Gefühle nicht, befahl sie sich. »Hast du den auch schon wieder überprüft, wie Lars damals?«
    »Er ist es wirklich«, rief ihr Vater aus.
    »Was, wer?« Carina fühlte sich ertappt; warum hatte sie Clemens auch in einem Atemzug mit ihrem Exliebhaber genannt?
    »Das gibt’s nicht, der Wennwirkurti«, murmelte Matte und drängte sich durch die Leute. Carina folgte ihm. Er steuerte auf den Mann zu, der sich gerade einen Schokoriegel aus dem Automaten fischte. Die Verpackung leuchtete so rot wie das Feuermal, das sich unter seiner Schirmmütze vom Ohr den Nacken hinabzog.
    Wie in High Noon, nur dass ein Kinderwagen und zwei Koffer die Bahn versperrten. Für eine Sekunde schien der andere nach einem Fluchtweg zu suchen, als würde er am liebsten zwischen den Leuten verschwinden. Dann schnitt sich ein Lächeln in sein Gesicht, verharrte in der Breite wie einstudiert. Da hat der Skulpteur nicht sauber gearbeitet, dachte Carina.
    »Ja, was machst du denn hier?« Matte umarmte ihn.
    Der Überrumpelte wusste nicht, wohin mit seinen Händen.
    »Sag mal, Kurti, haben die jetzt Deos beim Bundeskriminalamt?« Matte schnupperte übertrieben. »Carina, das ist Kurt Krallinger, mein ehemaliger Kollege und Freund. Mensch, wie lange ist das her.« Er boxte dem Mann freundschaftlich auf die Brust, was der mit einem unterdrückten Husten kommentierte. »Er hat dir mal den Hauptgewinn auf dem Oktoberfest geschossen, weißt du nicht mehr?«
    Sie erinnerte sich nicht; dabei hätte sie jemanden mit so einer Hautveränderung als Kind bestimmt interessant gefunden.
    »Was war das doch gleich für ein Vieh?«
    »Ein H-hase.« Der Schlag gegen den Solarplexus musste heftig ausgefallen sein. Krallinger räusperte sich immer noch.
    »Ja, genau, ein blauer Hase.« Matte strahlte, als hätte er den Gewinn eingesackt.
    »Du meinst den blauen Affen?« Den hatte ihr Vater eines Abends mitgebracht, aber dass der ein Treffer von diesem Krallinger gewesen war, wusste sie nicht mehr. An dem Affen hatte sie ihre ersten Obduktionen geübt, am Ende war nicht viel von ihm übrig geblieben. Die U-Bahn fuhr ein, und Matte zog seinen Freund mit in den Waggon.
    »Ein Affe, stimmt. Der sah Kurti sogar ähnlich, außer die Farbe natürlich, obwohl …

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