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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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tagsüber oder nachts die Blumen goss.
    Nachdem sie die Frau zum Brunnen geführt hatten, suchten sie weiter nach der richtigen Parzelle. Die kleine Lampe beleuchtete einen neuen Markierungsstein, i 46.
    Clemens bog ein paar Zweige beiseite und legte einen Stein frei, der schräg an einem Baumstamm lehnte. »Vielleicht ist das kleine I ja eine alte Schreibform für die Eins. Da: i 47.«
    Carina stapfte über das Gras zwischen den Gräbern hindurch.
    Er folgte ihr und las laut die Inschrift, die sie anstrahlte.
    Hier ruhen unvergessen:
    Annegret Salbeck, geb. Winzinger 2. Jan. 1930 – 4. Okt. 1979
    Xaver Salbeck 17. Sept. 1925 – 5. Okt.1984
    Rosalia Salbeck 12. Juni 1962 – 1997
    Bei Rosa gab es kein genaues Sterbedatum, dachte Carina. Zwischen den Tag- und Nachtschatten wühlte sie in der Erde. »Ich brauche eine Gewebeprobe von der Toten hier. Hilfst du mir graben?«
    Clemens wich zurück. »Das ist jetzt ein Witz, oder?«

Vierter Tag
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    Christian Morgenstern: Fisches Nachtgesang

22.
    Vor der Arbeit am nächsten Tag fuhr Carina zu ihren Eltern am Harras. Sie wollte endlich ihren Vater zur Rede stellen. Auch wenn es ein netter Abend mit Clemens gewesen war, durfte ihr Vater nicht einfach ungefragt ihre Adresse herausgeben. Und überhaupt, diese ständige Kontrolle musste ein Ende haben. Er konnte nicht ewig den Wegweiser mit Blinklicht für sie spielen, um sie nur ja auf den rechten Weg zu lotsen. Er hatte sie genug ausspioniert. Sie wollte gar nicht genau wissen, was er alles über sie erfahren hatte. Ab jetzt sollte er nicht mehr hinter ihrem Rücken über sie bestimmen, ein für alle Mal. Ihr Vater hatte bekommen, was er wollte, sie war zurückgekehrt und in seiner Nähe. Ob sie das auf Dauer aushielt, war die nächste Frage und zur Antwort musste er seinen Teil beitragen. Noch im Treppenhaus legte sie sich die Worte zurecht; sie wollte es ohne große Umschweife ansprechen.
    Ihre Mutter öffnete ihr, sie sah verheult aus. Die Nase, dick mit Salbe eingeschmiert, glänzte weiß. Es roch nach angebrannter Milch, den Milchaufschäumer der Kaffeemaschine benutzte Silvia nicht.
    »Dein Vater hat sich auf dem Klo eingesperrt wie ein kleiner Junge. Aber warte, den hol ich da schon raus.« Silvia hätte die halbe Stadt beleuchten können, so geladen war sie. Sie stampfte durch die Wohnung und hämmerte an die Badtür: »Los, Carina ist hier. Nun sag es ihr, zeig endlich dein wahres Gesicht.«
    Carina wollte sie unterbrechen; dass er ihr die Stelle im Institut verschafft hatte, wusste sie ja schon. Die Spülung rauschte, dann das Wasser im Waschbecken, doch die Tür öffnete sich nicht.
    »Na gut, dann tu ich es«, schrie Silvia.
    Vergeblich versuchte sie ihre Mutter von der Tür wegzuziehen, doch sie brüllte weiter. »Er will dir sagen, dass er damals … «
    Endlich drehte sich der Schlüssel, Matte stand im Türrahmen, die zerfledderte Zeitung unterm Arm. Haschpapi pur. Silvia, gerade noch am Brodeln, hielt seinem Hundeblick nicht stand; maulend verzog sie sich ins Schlafzimmer. Wortlos schlüpfte er in die Schuhe, nahm seine Jacke und stopfte irgendwelche Unterlagen vom Küchentisch, die zwischen Honigmesser und Kaffeetasse lagen, in eine Plastiktüte. Genauso stur wie Silvia in Sachen Kaffeemaschine benutzte er die aus Büffelleder handgenähte Aktentasche nicht, die sie ihm alle zusammen zum Fünfzigsten geschenkt hatten. Er bevorzugte nach wie vor halbdurchsichtige, grüne Tüten, die so dünn waren, dass sie knisterten. Damit man wusste, dass es Plastik war, betonte er.
    Die Sätze, die sich Carina vorgesagt hatte, wo waren sie hin? Schweigend stapften sie zur U-Bahn hinunter. Er grüßte die Nachbarn und bemerkte, dass auch er hoffe, das Wetter würde so bleiben. Als wäre nichts gewesen. Dann verstummte er wieder.
    Carina unternahm einen Versuch. »Was hat Mama gemeint, was sollst du mir endlich sagen?« Sie wollte es von ihm hören, er sollte sich einmal rechtfertigen für seine Übervater-Allüren.
    »Ach nichts, Silvia weiht mich ja auch nicht in alles ein. Gibt’s eigentlich was Neues von der Mumie?«
    Typisch, wenn es privat anstrengend wurde, flüchtete er sich in die Arbeit. Aber Carina wollte jetzt nicht über diesen Fall reden. Etwas anderes kam ihr in den Sinn. »Kannst du dich an, Rosa Salbeck erinnern? Eine Isartote von 1997?«
    Auf der

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