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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amma Darko
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wissen, wohin ich Baby T schicke? Ihr Arbeitgeber steht vor deinem Fenster. Schau nur heraus.»
    Maa Tsuru begann zu zittern.
    «Weißt du, daß er auch ein Auge auf deine jüngere Tochter geworfen hat?» fügte Maami Broni hinzu, noch bevor sich Maa Tsuru von ihrem Schock erholt hatte. Auf der Straße stand niemand anderes als Poison.
    «Wenn du ihm noch einmal wegen Baby T Probleme machst, kommt Fofo dran. Was hast du denn gedacht, wo die Umschläge, die du ständig erhältst, herkommen?» schnaubte Maami Broni.
    Maa Tsuru runzelte die Stirn: «Umschläge? Welche Umschläge?»
    Maami Broni kicherte. «Bist du so blöd oder tust du nur so? Deinen Anteil am Verdienst deiner Tochter, was sonst? Die kriegst du, damit du dich nicht einmischst. Was hat dir Mama Abidjan denn erzählt? Daß sie eine Ein-Frau-Wohltätigkeitsorganisation ist, die gratis prallgefüllte Umschläge verteilt?»
    Maa Tsuru war bestürzt. Und Maami Broni begriff allmählich, was geschehen war.
    «Du hast die Umschläge gar nicht bekommen?» dröhnte sie.
    Maa Tsuru dachte an Poison, der vor ihrem Fenster stand. Kpakpo, dieser miese kleine Typ, der es immerhin geschafft hatte, sie aus ihrem Dornröschenschlaf aufzuwecken. Was sollte sie sagen? Daß Kpakpo offensichtlich die Umschläge abgefangen und alles, was darin war, für sich behalten hatte? Sollte sie ihn Poison auf dem Silbertablett servieren?
    «Doch, doch», murmelte sie. «Ich habe sie bekommen.»
    Maami Broni aber hatte bereits verstanden. Sie beschloß auf der Stelle, in Zukunft die Umschläge persönlich auszuhändigen. Und so fing es an – jahrelang sollte der Besuch von Maami Broni gleichbedeutend mit einem Geldumschlag werden. Der Besuch zauberte jedesmal ein Lächeln in Kpakpos Gesicht und ließ Maa Tsuru jedesmal zusammenzucken, wenngleich sie den Umschlag auch nie zurückwies.
    Und eines schönen Tages war Maami Broni gekommen und hatte nicht einen Umschlag voller Geld gebracht, sondern die Nachricht vom Leichnam hinter dem blauen Rasta-Frisörsalon in Agbogbloshie.
    Ob Kpakpo auch bei diesem Besuch wieder gelächelt hätte, darüber konnte Maa Tsuru nur noch spekulieren.
    Er hatte drei Tage zuvor sie und ihre beiden kleinen Söhne verlassen.

KAPITEL 17
     
     
     
    Kabria hatte das Sprichwort «Sämtliche Kreaturen Gottes haben eine Seele» nie angezweifelt. Doch sie hatte «Kreaturen» immer in dem begrenzten Kontext von Menschen, Tieren und Pflanzen verstanden.
    Der traditionelle Schnitzer fällt einen Baum, mit dessen Holz er später arbeiten will, nicht einfach so. Für ihn ist es wichtig, zuvor die Seele des Baumes zu besänftigen, indem er ihm erklärt, warum er sein Leben beenden muß.
    Bestimmte unerklärliche Vorkommnisse scheinen ein Sprichwort manchmal zu belegen. Wie zum Beispiel der berühmte Stein in der Stadt Damongo im Norden Ghanas, der entfernt wurde für den Bau einer neuen Straße, der aber immer wieder von selbst an seine alte Stelle zurückkehrte. Das führte immerhin dazu, daß die ursprünglich wenig kompromißbereite ausländische Firma den Verlauf der Straße neu planen mußte, damit der geheimnisvolle Stein ein für allemal in Ruhe dort verweilen konnte.
    Aber ein Auto?
    Ein Auto ist schließlich aus Stahl. Stahl, der Gott-weiß-wo zu Tage gefördert, der geschmolzen und gewalzt und schließlich zu einem VW-Käfer geformt worden war, der schon Gott-weiß-wie-oft den Besitzer gewechselt hatte. Wo sollte der seine Seele haben?
    Kabria hatte mal wieder allen Grund, auf Creamy sauer zu sein. Es gab immer etwas bei Creamy, worüber man sauer sein konnte. Heute zum Beispiel verhielt er sich ganz und gar nicht, als wäre er ein Auto. Er fuhr nicht, er kroch.
    «Tuut, tuuuuuut», hupte es von hinten.
    «Nicht heute. Bitte!» flehte Kabria.
    «Tuut!»
    Sie hatte es gerade mit dem Kreisverkehr aufgenommen.
    «Wird’s bald?» schrie der Fahrer.
    Kabria ließ ihren Ärger an Creamy aus. Er hatte ja schließlich keine Seele.
    Sie drückte das Gaspedal durch bis auf den Boden und hämmerte auf das Lenkrad ein.
    «Los! Beweg dich!» schrie sie Creamy an. «Beweg dich wie ein Auto. Nicht wie eine Schnecke. Los!»
    Creamy sollte also keine Seele haben? Darüber hätte Kabria besser noch einmal nachdenken sollen. Denn sofort geschah etwas, das mindestens genauso bizarr war wie der Stein, den man nicht zwingen konnte, umzuziehen. Creamy blieb auf der Stelle mitten im Kreisel stehen. Tränen der Scham stiegen in Kabria hoch.
    «Das kannst du mir nicht antun», jammerte

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