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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amma Darko
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überflog den Bericht. «Sie starb an einer schweren Kopfverletzung. Es gab eine Hirnblutung auf der linken Seite.»
    Vickie machte sich Notizen.
    «Außerdem gibt es deutliche Abdrücke einer Hand auf der rechten Wange», fuhr er fort.
    «Von der ganzen Handfläche?» fragte Aggie.
    «Ja. Hier im Bericht steht, daß sie ein paar heftige Schläge abbekommen hat. Von einer Männerhand.»
    «Könnte es nicht auch die Hand einer Frau sein?» wollte Vickie wissen.
    «Der Bericht äußert nur eine Vermutung», antwortete er. «Darüber läßt sich nicht mit gleicher Präzision eine Aussage machen wie bei der Bestimmung der Todesursache. Doch die Heftigkeit des Handabdrucks deutet kaum auf die Hand einer Frau hin, auch wenn es nicht ganz auszuschließen ist.»
    «Und was ist die Schlußfolgerung?» fragte Aggie.
    «Der Untersuchungsgegenstand, äh, ich meine das Mädchen, taumelte nach links. Wahrscheinlich wurde sie gestoßen. Oder es war das Resultat des heftigen Schlags. Sie könnte das Gleichgewicht verloren haben oder bewußtlos geworden sein oder so etwas. Sie muß daraufhin gestürzt und mit dem Kopf gegen etwas geschlagen sein, das ihr diese offene Wunde am Kopf zugefügt hat.»
    «Die wiederum zu ihrem Tod geführt hat?»
    «Die vermutlich zu ihrem Tod geführt hat», betonte er. «Da gibt es noch etwas. Sie starb nicht an dem Ort, an dem sie gefunden wurde.»
    «Wie wurde das festgestellt?» fragte Vickie.
    «Der Fremdkörper in ihrer offenen Kopfverletzung.»
    «Ihr untersucht das alles, selbst bei nicht identifizierten Leichen, die auf öffentlichen Plätzen ‹weggeworfen› wurden?» staunte Aggie.
    «Wir können es uns nicht leisten, das nicht zu tun. Ein heute nicht identifizierter weggeworfener Leichnam kann sich morgen als ein vermißtes Mitglied der wichtigsten Familien herausstellen», erklärte er. «Viele dieser Berichte setzen irgendwann nur Staub an, aber wir sind verpflichtet, unseren Job zu Ende zu bringen.»
    «Also war es Mord?» beharrte Aggie.
    «Der Bericht schließt das nicht aus.»
    «Es hieß, ihr seien sämtliche Körperhaare abrasiert worden.»
    «Ja.»
    «Hat das mit ihrem Tod zu tun?»
    «Darüber sagt der Bericht nichts.»
    Während Aggie und Vickie im Leichenschauhaus damit beschäftigt waren, die Puzzleteile über Baby Ts Tod zusammenzusetzen, stattete Kabria Naa Yomo einen kurzen Besuch ab und löste damit ein Drama aus.
    Es klopfte an die Tür von Maa Tsuru, worauf diese so sehr zu zittern anfing, daß sie ihr Baby auf den Boden neben das ältere Kind setzen mußte.
    «Mach auf!» krächzte eine Stimme, und es wurde mit einem Stock gegen die Tür geschlagen. Spätestens jetzt wußte Maa Tsuru, wer vor der Tür stand. Sie überlegte. Was war so wichtig, daß Naa Yomo sich von ihrem Stuhl erhob und den ganzen Weg durch den Compound auf sich nahm, was inzwischen für die alte Dame ein gutes Stück Arbeit bedeutete? Sie öffnete vorsichtig einen Spalt, um sich zu vergewissern. Es war tatsächlich Naa Yomo. Maa Tsuru bat sie herein, doch die alte Dame lehnte ab. Sie blieb auf ihren Stock gestützt stehen und schimpfte: «Du schließt dich hier ein und kommst erst heraus, nachdem du durchs Schlüsselloch geguckt und dich vergewissert hast, daß ich nicht mehr auf meinem Stuhl da vorne sitze. Genau dort setze ich mich aber jetzt wieder hin. Ich will mit dir sprechen. Komm mit.»
    Sie ging gemächlichen Schrittes zurück, die spielenden Kinder im Compound blickten ihr verwundert nach. Die meisten hatten Naa Yomo noch nie durch den Compound gehen sehen. Normalerweise saß sie auf ihrem Stuhl und winkte die anderen zu sich. Und wer dieser Aufforderung nicht sofort nachkam, mußte mit ihrem Ärger rechnen. Sie war bekannt dafür, daß sie kein Blatt vor den Mund nahm. Ihre beliebteste Zielscheibe waren Frauen, die in wilder Ehe lebten und auch nicht vorhatten, daran etwas zu ändern. Maa Tsuru hatte schon oft genug ihr Fett abbekommen. Naa Yomo betrachtete es als ihre Verantwortung, auf alle hier ein Auge zu haben, denn zum einen war sie das älteste Mitglied des Haushalts, und zum anderen waren alle direkt oder indirekt verwandt mit dem einen «gemeinsamen Nenner». Und das war jener Vorfahre, der Sir Gordon Guggisberg persönlich die Hand geschüttelt hatte. Mit gleicher Inbrunst zeigte sie Verständnis für diejenigen Hausbewohner, die jeden Abend dafür beteten, eines Tages hier ausziehen und ihren Kindern ein besseres Leben in einer besseren Umgebung ermöglichen zu können; für

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