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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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nur Ahnungen und Gefühle. Das seltsame Bahnhofsgebäude und -gelände, seine grauenhaft anmutenden Gänge und Geschosse, seine Trostlosigkeit und feuchte Kälte hinterließen sofort einen tiefen Widerwillen in mir. Das ist heute erst recht so, wo ich so viel mehr über diesen Ort der Hinrichtungen weiß.
    Ein junger, dummer Mann stahl in Berlin einmal eine silberne Konfektschale eines Adeligen, zerbrach das wertvolle Metall und verkaufte die Einzelteile.
    Er sollte mit dem Leben büßen und gevierteilt werden. Sein Bruder aber, der Silberdiener bei dem hohen Herrn war, flehte um Gnade für den Dummen und die Gnade wurde gewährt. Der Dieb bekam die Milde des Handbeils zu spüren und das ganz große Spektakel blieb zur Enttäuschung vieler aus. Ein banales Eigentumsdelikt, und schon war das Leben verwirkt. Ab zum Scharfrichter, Berlin im 18. Jahrhundert. Aus alten Karten und Skizzen geht die Lage des Wohnhauses des Scharfrichters und seiner Knechte, der Scheunen und Arbeitsräume, eindeutig hervor. Heute Invalidenstraße, das Gelände am Nordbahnhof, der Beachvolleyball-Platz, der neue Park, und die Deutsche Bahn baut ein ödes Verwaltungsgebäude. Wir sprechen von etwas mehr als hundert Jahren Scharfrichterei und Abdeckerei an diesem Standort.
    Es begann mit Matsch, Sand, dünne Krume für bemühten Ackerbau, das Vogtland. Es lag außerhalb der nördlichen »Circumvalationslinie«, die etwa in Höhe der heutigen Torstraße/Linienstraße verlief. Hinter diese Stadtgrenze sollte der Scharfrichter ziehen. An seinem früheren Standort, im Nikolaiviertel, war er jetzt unerwünscht. Die Bürger beschwerten sich über den üblen Geruch. Der Scharfrichter betrieb nämlich auch eine Abdeckerei. Denn so viel konnte gar nicht hingerichtet werden, dass ein Scharfrichter mit seinem Gesinde davon hätte leben können. Der Scharfrichter war auch für die Verwertung der geschlachteten Tiere zuständig. Felle, Hufe, Haare, Häute und Knochen. Aus den eingefangenen Hunden wurde Hundeleder und Hundefett, und selbst aus toten Nutztieren war noch etwas zu gewinnen. Hat bestialisch gestunken, die Beschwerden der Anwohner sind belegt. So erzwang man nach Jahren der Standortsuche und Planungden Umzug der Abdeckerei von der Altberliner Innenstadt in ebenjenes nördliche Vogtland. Dort stellte der Magistrat 1724 dem Scharfrichter Klein ein neues Anwesen zur Verfügung. Das neue Haus taugte nicht viel, es regnete rein, es war schnell baufällig und die wechselnden Pächterfamilien und ihre Knechte klagten ein Jahrhundert lang, dass Kälte, Wind und Wasser ihnen das Leben vergällten. Die Richtstätte war nah am Wohnhaus aufgestellt, auf der Anhöhe. Doch schon ab 1821 fanden keinerlei Kadaververwertungen mehr in diesem Bereich statt. Der strenge Geruch hatte mal wieder Ärger provoziert. Nicht nur die Reisenden auf der Berlin-Hamburger-Chaussee – heute Chausseestraße – waren abgestoßen, der Gestank störte auch bei der Ausbreitung städtischer und industrieller Strukturen in diesem vormalig ländlichen Gebiet. Die Stadt holte den Scharfrichter schon nach wenigen Jahrzehnten ein und verdrängte ihn wieder. Ja, der Scharfrichter war den neuen Anwohnern und den neuen Bauherren mal wieder sehr lästig geworden. Stadtumwandlung und Verdrängung waren auch im 18. und 19. Jahrhundert ein Thema. Und die Leute waren abergläubisch, auch Abscheu mag eine Rolle gespielt haben bei den Bemühungen, ihn wieder loszuwerden. Immerhin waren die Scharfrichter und Abdecker mit ihren Knechten auch für das Ablösen und Wegbringen der »Verzweifelten« – Selbstmörder im damaligen Jargon – zuständig, und nicht selten entleerten und reinigten sie auch die »Priveter« (Kotbottiche) der umliegenden Wohnhäuser. Gegen saftige Gebühr natürlich. Das allgemeine Bedürfnis, sich vom Scharfrichter und seinen Knechten abzugrenzen, drückt sich auch in einer Kleiderordnung aus. Er sollte Grau tragen. Schließlich gab es ein »erneuertes, geschärftes und extendirtes Edict, dassvon nun an, alle Scharfrichter, Büttel und dergleichen dazu gehöriges Gesindel, sich in grau kleiden, keineswegs aber jemanden Kleidung von blauer oder anderen Farben, und zwar bey Strafe der Karre tragen sollen. De dato Berlin, den 24. Juli 1738.« Grau ist wirklich unheimlich. Auch der Scharfrichter hatte nicht viel Lust, in Grau zu gehen. Das Edikt war ein hilfloser Versuch, ihm Vorschriften zu machen. Die Strafe »bei Karre« für Zuwiderhandlung war nur eine Ehrenstrafe, bei der

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