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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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all der neuen Pracht, die nur auf Pump lebt. Oder die kleine Zeit von damals, mit der Mauer, die alle großen Schrecken von uns abhielt, aber auch alle Möglichkeiten.«
    »Das also wollt ihr wissen?«, sagte Klaus und wackelte mit seinem knöchernen Finger, an dem die blau-grüne Haut wie Wachsfolie wirkte.
    »Ja, Klaus, das wollen wir wissen«, sagte Udo.
    Klaus räusperte sich. »Nun gut, ich finde, die Sache ist eindeutig die ‒ ?«
    Udo unterbrach ihn und hob mahnend die Hand.
    »Warte! Stolli, wo ist Lydia? Ich finde, sie sollte dabei sein.«
    Stolli zog hörbar die Luft ein. »Du Vollidiot.«
    »Was ist los? Warum starrt ihr mich so an?« Udo lächelte debil, aber das half ihm nichts.
    »Ich sitze die ganze Zeit am Tisch, und du bemerkst mich nicht einmal. Hast du es mit den Augen?« Lydia sprach mit der tiefen, rauhen Stimme, die sie einst zum Star der ZDF Hitparade 1988 gemacht hatte. Diesem verlebten Organ war es vollkommen unmöglich, gleichgültig zu wirken. Auf einmal war sie wieder jung und verletzlich, und ihn überkam ein Gefühl, das sich unangenehm schrecklich ausbreitete.
    »Lydia«, stammelte er nur. »Lydia, verzeih mir. Wie konnte ich nur. So dumm.«
    Alle schauten betreten. Diesen Moment verstand selbst Nicole.
    Klaus stand auf. »Mensch Leute, ich fühle mich so komisch, mir ist heiß und faulig, ich glaub ich muss zurück ins Grab. Wer bringt mich?«
    »Hat das nicht Zeit?« Udo wischte sich die Tränen weg. »Ich kann gerade schlecht. Schau mal.« Er zeigte Kläuschen seine Hände, die zitterten.
    »Ich will euch nur warnen, wenn ich gleich umfalle, habt ihr eine Leiche am Hals. Soll mir egal sein, aber ich hab euch gewarnt.«
    »Ich regle das«, sagte Nicole und zog Klaus beiseite. »Vielleicht helfen ein paar kalte Umschläge?« Klausmaulte. Er ging auch plötzlich so steif, wie die Zombies in den Filmen. Eine Kellnerin sprang aufgeschreckt davon.
    »War nur ein Witz«, sagte Klaus, dann blieb er plötzlich vor den mannshohen, gläsernen Reifeschränken stehen, die seitlich im Restaurant standen.
    »Was ist das?« Er starrte auf Dutzende rote bis dunkelrote, schiere Fleischstücke, die in den Schränken lagerten und sich im Milchsäureprozess befanden. Dies war der eigentliche Schatz des Grill Royal. Klaus rieb sehnsuchtsvoll die Wange an der Glasscheibe. »Da will ich rein, da will ich rein, da will ich rein ...«, babbelte er.
    »Ernsthaft?«, flüsterte Nicole.
    Er grunzte leidenschaftlich. Nicole blickte rechts, blickte links, und erkannte den günstigen Moment. Sie öffnete die Tür, und schon saß der schöne Klaus im untersten, größten Fach neben einer gehängten, japanischen Querrippe; versteckt wie der berühmte Brief in Edgar Allan Poes Geschichte. Nicole winkte ihm zu. Er grinste und winkte.
    Nicole meinte sogar, ein »Supi!« von ihm gehört zu haben.
    Als sie zum Tisch zurückkehrte, stand Udo gerade auf und wankte zum Ausgang. Plötzlich war er ein gebrochener Mann. Er tat ihr leid, aber sie war sich nicht sicher, ob das Gefühl bis zum nächsten Morgen anhalten würde. »Den Nachfolgern im Nachtleben sei gesagt«, rief Udo, und drehte sich noch einmal allen zu. Sie schauten ihn an. Er griff sich ans Herz, als würde er einen Infarkt erwarten, lauschte, nichts geschah. Dann drehte er sich Richtung Ausgang, ging auf die Terrasse, lehnte an die Mauer, sah die schwarze Spree unter sich fließen und rotzte hinein.

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