Die Gespenster von Berlin
von Nivea Creme immer fand. Wo Newton über seine Mutter schreibt, die er furchtbar verehrte, ist plötzlich der Gedanke an die weiße Katze wieder da. Und mit ihm der ganze Königshof aller geliebten Jungen dieser Welt, die in die weite Welt ziehen mussten, um auf die Liebe fremder Leute zu hoffen:
»Meine Mutter erzählte mir immer, ich sei ein Findelkind und gar nicht ihr richtiges Kind. Sie hätte mich auf der Hintertreppe gefunden, eingewickelt in ein Tuch, das mit einer Krone und den Initialen irgendwelcher Adeliger bestickt gewesen sei. Ich glaube, es war eine Krone mit sieben Zacken.«
Das Haus in der Innsbrucker Straße ist ein Geisterhaus, ein fein saniertes, gutbürgerliches, freundliches, spinnwebenfreies Geisterhaus. Es ist ein Haus wie viele andere.
Das Gespenst, das sich fürchtet
In Berlin lebt ein Gespenst, das nachts umgeht, Autos anzündet und Schlagzeilen macht: »Die Gespenstische Brandserie. Schon 101 Anschläge auf Autos. Bei der Fahndung geraten die Ermittler an ihre Grenzen.« ( Tagesspiegel , November 2007) ‒ »2922 Tage, 359 in Brand gesteckte Autos, 1 Bekennerschreiben. 19 Festnahmen« ( BZ , Januar 2009).
Das Revier des Gespenstes liegt hier: Fehrbelliner Straße, Choriner Straße, Zionskirchstraße, Schwedter Straße, Anklamer Straße, alle in Mitte bis zur Grenze Prenzlauer Berg. Meist sind es dicke Autos wie Daimler Chrysler, Porsche, Mercedes, die in Flammen aufgehen, aber nicht nur. Schnell mal angezündet. In der Zeitung steht, mit einem Grillanzünder, unters Auto gelegt. Richtig fies. Dass das Gespenst sich überhaupt mit mir unterhalten wollte, verblüffte mich. Vermutlich Eitelkeit. Es würde ja niemals gefasst werden können. Keine Kameras, keine Zeugenaussagen könnten es festnageln. Es war der Schrecken der Straße. Eines der vielen Berliner Gespenster war also Mitglied einer Gruppe, die in Berlin Autos anzündet. Aber erzählen Sie das mal Polizei und Staatsschutz, die glauben das natürlich nicht.
Es war ein warmer Frühsommerabend, und irgendwo in Mitte wollte das Gespenst ein Bier trinken. Doch das Bergstüb’l, das gerade vom Veteranenweg in die Invalidenstraße umgezogen war, gefiel ihm nicht. Es verstand zwar, was dafür sprach, wollte sich dem aber nicht aussetzen. Nach ein paar weiteren Versuchen landeten wirschließlich beim Mexikaner »Viva Mexico!« in der Chausseestraße. Dort standen Bierbänke auf der Straße, man schaute auf die gegenüberliegende Total-Tankstelle und nahm mit einer gewissen Bereitschaft die Brachen-Romantik und die im Frühsommer üblichen Abendreize auf. Denn dieser Teil der Straße war rau, von Baustellen, Gewerbehöfen und Wartezuständen geprägt. Der Bundesnachrichtendienst würde mit seinem neuen Standort gegenüber, auf dem umzäunten, Tag und Nacht bewachten, riesigen Gelände, eines Tages alles verändern. Die Total-Tankstelle gibt es jetzt schon nicht mehr, sie steht jetzt 300 m weiter nördlich, und wird sich kaum im Gedächtnis derjenigen Anwohner halten, die in der Flüchtigkeit der gegenwärtigen Berliner Ära längst heimisch geworden sind. Bald würde auch dieses mexikanische Lokal nicht mehr sein. Oder könnte es doch widerstehen? Die FDP-Ortsgruppe Mitte, mit der man sich den dicht belegten Biertisch teilte, hing in ihrer Diskussion weniger schwermütigen Gedanken nach, ging es doch so laut wie optimistisch um die eigene Nachwuchsarbeit. Das Gespenst, das sich linksalternativ kostümiert hatte, störte das akustisch enge Nebeneinander mit den Liberalen nicht.
Wir stießen mit Glaskrügen an und aßen Taco-Chips mit dreierlei Saucen. Jetzt begann das Gespenst von seinem unheimlichen Berlin zu reden und seine tief sitzende Furcht zu beschreiben. Es bestand übrigens darauf, geduzt zu werden. Den falschen Eindruck von Kumpanei soll dies dennoch nicht erzeugen.
Interview mit einem Gespenst
Gespenst: G
Gespensterreporterin: GRin
GRin Bist du Ossi oder Wessi?
G Ich bin von trauriger Gestalt.
GRin Aber du bist Fußgänger, oder fährst du etwa Auto?
G Ich fahre Fahrrad.
GRin Und bist du wirklich politisch motiviert, wie die Polizei vermutet, oder langweilst du dich nur?
G Wenn ich durch Berlin wabere, dann werde ich traurig. Wie schnell sich alles verändert, wie alles wegbricht. Das belastet mich. Besonders in Mitte.
GRin Ich gehe normalerweise mit ganz anderen Sorgen durch die Stadt. Ich setze mir keine Stadtentwicklungsbrille auf und leide nicht am veränderten Stadtbild. Ich denke eher: Bin ich schon wieder
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