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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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hat.
Monster, Mumien, Mutationen
    Prinsis war also ein behinderter Kater, der sich entsprechend vorsichtig benahm, die Nähe zu Menschen suchte und die Natur und alles Unbekannte mied. Aber disqualifiziert ihn das für das Wahrnehmen möglicher Gespenster? Nach allem, was man über Gespenster weiß, muss man sagen: ganz im Gegenteil. Der Gendefekt allein ist schon extravagant. In der Horrorliteratur spielen seltene Erbfehler, Mutationen oder merkwürdige angeborene Fähigkeiten bei »Missgeburten« schon immer eine große Rolle. So beispielsweise in der Geschichte Minority Report des Schriftstellers Philip K. Dick von 1956, die von Steven Spielberg verfilmt wurde. Hier sind es so genannte Precogs, die mit schweren Gehirnveränderungen geboren wurden, da ihre Mütter neuartige und verunreinigte Drogen eingenommen hatten. Precogs besitzen die Fähigkeit, Morde vorauszusehen, und stehen in Dicks Geschichte imMittelpunkt einer präventiv arbeitenden staatlichen Justiz und Polizei.
    In dem Roman Die Frau des Zeitreisenden von Audrey Niffenegger geht es um die Auswirkungen des Chrono-Gen-Defektes auf einen ansonsten ganz normalen Mann. Durch dieses mutierte Gen wird dieser Mann seit seiner Kindheit immer wieder unfreiwillig auf eine Reise auf der Zeitachse geschickt. Er reist sogar über seine eigene Lebenszeit hinaus – in eine Zukunft, in der seine Frau schon sehr alt und er längst tot ist, was in dem Roman sehr berührend beschrieben wird.
    Fälle von sensueller Neubelegung werden auch von der Neurologie mit Interesse begleitet und dokumentiert. Der Neurologe und Schriftsteller Oliver Sacks beispielsweise beschreibt in seinen populären Fallstudien Patienten, deren Wahrnehmungsfähigkeiten sich durch Verletzungen, Tumore oder sonstige Ereignisse veränderten: »Eine winzige Hirnverletzung, ein kleiner Tumult in der cerebralen Chemie – und wir geraten in eine andere Welt.« Die Antwort auf die interessante Frage, ob ein Patient aufgrund einer neurologischen Veränderung plötzlich mit Toten bzw. Geistern Umgang haben kann, finden wir bei Sacks allerdings nicht. Man muss also weiterhin Material aus der erzählenden Literatur heranziehen, wo sich die Tradition des Aberglaubens mit künstlerischer Phantasie an historischen Orten paart. Auch die Farbe Weiß ist in der Gruselliteratur von jeher mit hellseherischer Fähigkeit verbunden, etwa in den vielen Gespenstergeschichten um adelige »weiße Frauen«, die ihren Nachkommen erscheinen, Warnungen aussprechen, »von Unheil künden« oder auf einen Mörder innerhalb der Familie aufmerksam machen. Und auch »der blinde Seher« ist seit der griechischen Tragödie– mit der Figur des blinden Teiresias aus Sophokles’ König Ödipus – ein fester Bestandteil der Literatur.
    Deshalb wollte ich es glauben. Die weiße Katze war ein Prinz, er war zwar behindert, hatte aber sensuelle Fähigkeiten der dritten Art und konnte daher Dinge bemerken, die wir Spuk nennen müssen. Wer in der Innsbrucker Straße spukt, bleibt ungeklärt. Vielleicht ein greiser Jude, vielleicht auch nicht. Die Legende der weißen Katze will ich glauben, selbst wenn der aktuelle Bewohner der Künstlerwohnung, der britische Künstler Phil Collins, während seines Aufenthaltes keine Geister bemerkt hat. Auch sein Hund bellte nachts nicht oder wich vor unsichtbaren Gefahren zurück. So genannte Voice Transmission Recordings , bei denen man Geisterstimmen und unheimliche Botschaften unter Alkoholeinfluss und mit viel Phantasie garantiert nachweisen könnte, wollte der ansonsten überaus höfliche Brite leider nicht bei sich stattfinden lassen, dabei sollten Gespenster und Gespensterjagden für Briten nichts Ungewöhnliches sein. Es half alles nichts, das Haus sprach nicht zu mir. Das übernahm dann die Straße. Wenige Schritte vom Gespensterhaus entfernt informiert ein Schild darüber, dass an dieser Stelle einst das Geburtshaus des weltbekannten Fotografen Helmut Newton stand, der als Helmut Neustaedter 1920 in Berlin geboren wurde. Vor den Nazis auf der Flucht, verließ er am 5. Dezember 1938 ohne seine Eltern die Stadt. In seiner Autobiografie schrieb Helmut Newton ausführlich über die Berliner Zeit, über seine Anfänge als Fotograf, seine Mädchen, seinen Sport und die beginnende Verfolgung und die große Angst, die ihn doch nicht ganz lähmen konnte. Er schreibt mitreißend, ein alter Mann, dem die Gefühle, Worte und Affekteeines jungen Menschen nicht abhandengekommen waren. Wie erotisch er den Geruch

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