Die Gespenster von Berlin
Sicherheitsrisiko für die Bundeskanzlerin? fragte ich.
Die Männer zuckten mit den Schultern: »Uns fragt ja keiner.«
Mehr geschah nicht. Kurz darauf passierten Zufälle. Ich traf einen Mann, der kurz nach dem Mauerfall in dem Haus gewesen ist, und er konnte mich auch auf eine Besonderheit des Hauses hinweisen. Plötzlich besaß ich eine Idee, wie ich Veras Ausschweifungen über schlaue Krähen und verfluchte Apotheken etwas entgegensetzen konnte. Außerdem entdeckte ich in einem Artikel über die »Un-Logik der Gespenstergeschichte« des Münchner Germanisten Robert Stockhammer die urplötzliche Frage, wie denn ein Leser – sprachtheoretisch gesehen – überhaupt unterscheiden könne, »ob es Angela Merkel in Wirklichkeit eher gibt als Gespenster« (Robert Stockhammer, in: Zur Theorie der Gespenster und die Un-Logik der Literatur, 2012). Angela Merkel fungierte dabei als Beispiel für etwas besonders Reales, was die Frage nach dem Unterscheidungsmerkmal von Irrealien wie Gespenstern innerhalb der Literatur und ihrer eigenen Logik aufwirft. Um es vorwegzunehmen: Angela Merkel ist ein innerliterarischer außenliterarischer Referent.
Aber hätte Professor Stockhammer dieses Beispiel auch gewählt, wenn er gewusst hätte, dass es im Haus der Kanzlerin spukte? Wenn er geahnt hätte, dass ein sogenanntes Merkelhaus-Gespenst durch einen Leserbrief einen literarischen Evidentcharakter bekommt, sozusagen als außenliterarischer innenliterarischer Referent auf der Schneide von Fiktion, Reportage und Kolportage? Dieses Geflecht von hätte-könnte-würde erhöhte den Druck, das Geheimnis des Gespenstes zu lüften. Das war ich diesem Abschnitt der deutschen Literaturgeschichte plötzlich schuldig.
»Liebe Vera,
die Geschichte mit dem Merkelschen Haus interessiert mich zunehmend. Vor kurzem traf ich einen Regisseur, der gleich nach dem Fall der Mauer in dem Haus gewesen ist. Ihm sei aufgefallen, dass die Decken eingezogen waren, dass es innen eine regelrechte Verschalung gegeben habe. Können Sie mir dazu etwas sagen? Gab es diese eingezogenen Decken noch, als Sie mit dem Haus zu tun hatten? Wer hat in der DDR-Zeit dort gelebt? Ich möchte das Gespenst des Hauses nutzen, um dem Mysterium Merkel nachzugehen, denn Sie wissen ja, in meinen Geschichten geht es nicht darum, die Existenz von Gespenster zu beweisen oder zu widerlegen, sondern sie zu nutzen, um davon zu erzählen. Heute fand ich in einem germanistischen Text über die Theorie und Un-Logik der Gespensterliteratur tatsächlich folgenden Satz: » Als bloßer Leser eines fiktionalen Textes weiß ich nicht, ob es Angela Merkel in Wirklichkeit eher gibt als Gespenster.« Das ist vollkommen typisch für die Gespensterjagd, jedenfalls für meine Art, solche Sachen zu finden. Ich las in einer Merkel-Biografie, das Ehepaar Merkel/Sauer sei sehr geräuschempfindlich. Die Söhne von Herrn Sauermussten stets dicke Socken tragen und leise durch die Wohnung schleichen. Herr Sauer habe auch die Veranstalter eines Konzertes am Pergamonmuseum wegen Ruhestörung angezeigt. Wie ist das Ihrer Meinung nach in einen Gespenster-Zusammenhang zu bringen? Ist das Haus stillgelegt? Oder macht der Spuk besondere Geräusche? Wie ich erfuhr, zieht bald eine Bar in das Haus, da, wo früher Ihre Galerie war. Ich verstehe nicht, dass ein so lärmempfindliches und prominentes Paar solche Mit-Mieter duldet. Wie erklären Sie sich das? Nimmt der Vermieter keine Rücksicht auf Merkel/Sauer? Oder wird das eine stille Bar? Ich freue mich schon auf Ihre Nachricht!!«
Vera antwortete bald:
»Liebe Sarah Khan,
das Haus wirkt wirklich wie eine stillgelegte Insel inmitten des prallen Lebens in Mitte. Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Das könnte auch die Lärmempfindlichkeit des Professor Sauer erklären. Apropos: Das Gespenst hat keine Geräusche von sich gegeben, es war »nur« energetisch aktiv, indem es die Atmosphäre von Streitlust und unterschwelliger Bedrohung erzeugte. Das Zitat über Angela Merkel als Gespenst hat mir gefallen, sie war damals so gut wie unsichtbar, ich habe sie kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Dass eine Bar dort einzieht, wundert mich wirklich. Hier ein vorsichtiger Tipp: Wenden Sie sich an die Architekten, die wissen genau, in welchem Zustand das Haus vor der Restaurierung war, ob es eingezogene Decken gab – als ich da hin und wieder nächtigte, gab es diese Decken nicht mehr.«
Ich kontaktierte die Architektin Frau Rüthnick, eine energiegeladene Zupackerin,
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