Die Gespenster von Berlin
West-Berlinern die Einführung der neuen Postleitzahlen vorausgesagt, als noch niemand vom Mauerfall sprach. Und er brachte die Berliner Gastronomen auf die Idee mit den gebügelten, chlorweißen Tischdecken. Jetzt ist er tot.«
»Wie? Wo?«
»Sterbehospiz.«
»Krebs?«
»Er ist im Badezimmer auf einem nassen Stück Seife ausgerutscht. Er besuchte einen Freund dort, wollte ihm Kiff bringen.«
»Warst du auf der Beerdigung?«
Stolli nickte betroffen. »Es war schlimm. Morgens um acht. Die haben nicht mal einen Kaffeeautomaten.«
»Wie viele Leute sind zur Beerdigung gekommen?«
»Nicht viele.«
Udo schwieg. Lange. Der Kellner brachte die Getränke. Udo rührte sein Glas nicht an.
Und als er wieder sprach, waren die Eiswürfel bereits geschmolzen.
»Wenn ich dir den schönen Klaus hier und heute zum Interview bringe, Stolli, lässt du mich dann mit Lydia einen Moment unter vier Augen sprechen?«
In diesem Moment hielt Udo die Schaufel bereits fest umklammert. Die Schaufel, die im Kofferraum seines alten Mercedes lag.
Als Erstes fuhren Udo, Gregor und Nicole zurück insHaus der Kulturen der Welt. Wie Nicole richtig vermutete, war die Voodoo-Party noch lange nicht zu Ende. Mehrere Handtaschen hatten sich ineinander verknotet. Lomoso Tonkas linker Fuß war zwischen eine geflochtene Ledertasche aus einem Museumsshop in Helsinki und eine Globetrotter-Tasche aus Goretex geraten, was seinem Körperspiel einige Anmut verlieh. Nicole und Udo wippten und schnippten sich in seine Nähe. Nicole griff nach ihrem Paloma-Picasso-Lippenstift und malte sich aufreizend die Lippen nach. Lomoso taumelte ihr hypnotisiert entgegen. Diesen Moment der Ablenkung nutzte Udo, um Lomosos Gesäßtasche die Schlüssel für die Vitrine mit dem Voodoo-Stuff zu entnehmen. Schon wenige Minuten später bettelte Nicole ihren Schwager vor der Vitrine auf Knien an.
»Lieber Udo, bekomme ich die Flasche mit dem Geldverdienerzeugs? Bitte?«
Udo schüttelte den Kopf. »Später vielleicht. Du bleibst jetzt hier und lenkst ihn ab. In zwei Stunden bin ich mit Gregor und Klaus zurück, dann kommt die Flasche zurück ins Vitrinchen und du kriegst deinen Teil.«
Nicole nickte folgsam, stand auf und ordnete ihre Bluse.
Udo und Gregor kletterten über den Zaun des Friedenauer Friedhofs. Stolli Gebhardt hatte ihnen den Weg zu Klausens Grab geschildert. Sie sollten bis zu Marlene Dietrich gehen (auf ihrem Stein stand: »Hier stehe ich, an den Marken meiner Tage«), dann drei Reihen weiter nördlich, rechts rein, das frische Grab, noch ohne Stein, mit einem großen Kranz von Klausis Schwester Regula, gelbe Schleife. Udo begann sofort zu graben. Gregor holte sich aus dem Gärtnerschuppen eine Schaufel. Nach nur einer halben Stunde war das Erdreich, das sich noch nicht gesetzt hatte, bis zum Sarg freigeschaufelt. Udo glitt hinab, löstedie Schrauben des Erdmöbels, gemeinsam öffneten sie den Deckel. Gregor kotzte auf den Kranz der Schwester (»Du bist nur vorausgegangen. In Liebe Regula«). Udo schien der Anblick dagegen weniger Probleme zu bereiten.
»Weißt du eigentlich, wieso wir ihn immer den schönen Klaus nannten?«
»Gruuääh«, antwortete Udo und würgte in einem zweiten Schwall die Sylter Austern hoch.
So entstand hier auf dem Friedenauer Friedhof gegen 23.10 Uhr fast so etwas wie eine leichte Meeresbrise.
»Wir nannten ihn den schönen Klaus, weil er immer mit einem weißen Handtuch im Nacken zu den Konzerten ins SO 36 kam. Er hatte Stil. Aber er war ein Frottee-Fetischist. Das wussten die wenigsten.«
Jemand hatte ihm als letzten Gruß ein weißes Handtuch ins Grab geworfen. Udo zog es aus der Erde und klopfte es aus. »Unserem Klaus. Lydia und Stolli«.
Udo blickte das Handtuch ungläubig an, dann malmte er hörbar mit den Zähnen.
»Warte nur, Stolli«, sagte er. »Warte nur, du kannst was erleben, du Gauner.«
Er nahm das Fläschchen mit dem Fluido, öffnete den Stopfen, und sprenkelte etwas davon auf das grün-weiß marmorierte Gesicht des Toten. Das Fluido verhielt sich auf der Leiche wie heißes Fett in der Bratpfanne. Es perlte, es floss, es zischte. Als würde es den Körper rundum panieren. Die Wirkung blieb nicht aus. Klaus öffnete die Augen, oder was davon übrig war, und dann auch den Mund, den der Leichenwäscher verklebt hatte, aber das stellte irgendwie kein Problem dar. Er riss, dann krümelte und triefte es zugleich um die Mundwinkel, und schon hörte man ein »Eeaaahh ... eeaaahh … eeaah.« Gregor kroch feige
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