Die Gespenster von Berlin
deutete er auf Oliver Berben, Gerhard Schröder und Reinhold Beckmann, die vor der Garderobe darauf warteten, Hut und Mantel abzugeben, aber in diesem Moment von einer sich vordrängelnden Claudia Roth verdeckt wurden, der drei junge Kellner umständlich halfen, einen elektrifizierten, rot glühenden Plastikfuchsschwanz von drei Meter Länge von dem kaum vorhandenen Hals zu wickeln, damit sie schließlich in ein Eckchen stolzieren konnte, wo eine Industriellen-Gattin mit einer enttäuschenden Parteispende auf sie wartete. Nicole und Gregor nickten Udo zu, als würden sie ihn nur zu gut verstehen.
»Willst du irgendwann doch noch Kinder?«, fragte Nicole. »Ich habe nie verstanden, warum du all diese Brandenburger Abtreibungen machen lässt, das ist doch total krank.«
»Was für Abtreibungen?«
Es stellte sich heraus, dass Nicole die Sache falsch verstanden hatte. Udo hatte in seinem ganzen Leben nur vier einvernehmliche Abtreibungen durchführen lassen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und er hatte dem Brandenburger Frauenarzt für seine Hilfestellung keine Luxusgüter, sondern nur ein neues Chemie-Campingklo für den Schrebergarten geschenkt. Damit sind Brandenburger Frauenärzte schon unheimlich glücklich.
»Dann magst du also doch irgendwann Kinder haben?«, fragte Nicole erleichtert.
»Ich weiß nicht«, sagte Udo.
»Diese vielen toten Föten, belasten die dich nicht?«
»Ich bin zu einer Zeit groß geworden, da gehörten Abtreibungen dazu. Mag ja sein, dass Sex heute risikofrei und folgenlos ist, aber ich kannte das noch anders. Man hat so viele Drogen genommen und so viel gekotzt, und die Frauen haben sich ständig in deine Boots und auf deine Motorräder übergeben, dass die Wirkung der Babypille irgendwann mal aussetzen musste, und dann war halt eine Dame wieder schwanger. Das war damals so. Da fand man nichts dabei.«
»Ich bin beeindruckt!«, spottete Nicole. »Heute ist alles anders zwischen Männern und Frauen.« Nicoles Hände kreisten umeinander, als würden so Argumente gewonnen.
Udo schlürfte seinen Rotwein und kaute das letzte Stück vom Filet.
»Mag ja sein, aber damals ist es so gewesen.«
»Das ist für uns Jüngere unbegreiflich«, sagte Gregor. »Wir müssen bei allem acht geben. Immer aufpassen. Dürfen keine Fehler machen. Niemals.«
»Das ist eine ganz andere Welt jetzt«, sagte Nicole. »Wir trinken kein Flaschenbier mehr und stehen auch nicht am nächsten Tag in einer Musikzeitschrift deswegen.«
Da wurde Udo zornig. »Was seid ihr beiden für Stümper und Scheißer, dass ihr meint, mich so anglotzen zu können? Wer seid ihr, mich so zu beurteilen!?« Er schrie, wurde rot und schwitzte. Luftlosigkeit umgab den Tisch. Bis eine amüsierte Männerstimme rief:
»Udo! Was machst du denn hier?«
»Stolli Gebhardt?« Udo blinzelte verwirrt.
Ein flinker, dauergrinsender Mann in dunklem Zweiteiler mit Zigarrillo kam auf sie zu und setzte sich an den Tisch.
»Ich dachte, du lebst mit Lydia in Amerika«, sagte Udo reglos.
»Ich bin in Berlin Hauptstadtjournalist geworden. Wusstest du das nicht?«
»Und was macht Lydia jetzt?«
»Keine Ahnung. Was sollen die alten Geschichten?«
»Du hast sie mir weggenommen.« Udo und Stolli starrten sich an, keiner wollte der Erste sei, der aufgab. Gregor drehte sich zu einem Kellner und hob vier Finger. Und wäre Nicole nicht gewesen, dann würden sie sich heute noch anstarren.
»Ich lese jeden Tag Ihre Kolumnen, Herr Gebhardt«, sagte sie. »Sie sind so witzig.«
»Wie kann man nur so genial sein jeden Tag?«, fragte Gregor. »Wie machen Sie das bloß?«
Stolli runzelte besorgt die Stirn. »Was ist los hier, Udo?«
»Meine Verwandten meinten, heute wäre das Leben besser als früher. Das mag sein. Aber wer will das beurteilen, wer taugt als Richter? Wem würdest du diese Entscheidung überlassen, Stolli?«
»Vor zwei Wochen hätte ich noch gesagt, dem schönen Klaus natürlich.«
»Geniale Idee! Der schöne Klaus, wir müssen ihn fragen. Wo steckt er?«
»Auf dem Friedhof, ist vor zwei Wochen gestorben. Seitdem ärgere ich mich jeden Tag, ihn nicht interviewt zu haben, denn er wusste ALLES über das Nachtleben der letzten dreißig Jahre, bis zum Ende war er immer noch dabei.Wenn einer weiß, ob es heute besser ist als damals, dann er.«
Udo schüttelte erschrocken den Kopf. »Tot? Nee, oder?«
»Der schöne Klaus war ein Ästhet, ein Philosoph, ein Weitblicker«, erklärte Stolli den Jüngeren am Tisch. »Er hatte den
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