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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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Baumaterial, ständig war Betrieb: Umbau, Ausbau, Brückenbau, Kuppelbau, Innendekor, Fassaden. In der Bauhofstraße wurden auch die schwarzen Küchen der Schloss-Vorzimmer betrieben, was in einigen Alt-Berliner Beschreibungen ohne weitere Erklärungen zu lesen ist. Vielleicht wurden Schloss-Bedienstete hier bekocht. Auf jeden Fall wird es eine lebhafte, geruchsvolle, laute Zeit gewesen sein, in der man in Berlin noch nicht, wie später zur Gründerzeit 1870/71, die umliegenden Wiesen, Sümpfe und Felder von Moabit und Schöneberg mit Sand aufschüttete und bebaute. Erst einmal verdichtete sich die Stadt im historischen Kern, dieser Prozess ist schon an den Hausnummerierungen wie »Am Kupfergraben 6 und 6 a« oder »4 und 4 a« zu erkennen: Die Claims werden trotz erster Vergrößerungen und Neu-Bebauungen beisammengehalten – verdichtet. Hier also lebte auch Hufeland, der einflussreiche Mediziner, Leibarzt des preußischen Königs und erster Direktor der neu gegründeten Charité. Hufeland erkannte, dass es einen Zusammenhang von Wohnumfeld, Armut und Erkrankungsrisiko gab. Er appellierte, Maßnahmen zur Verbesserung des Trinkwassers zu ergreifen, denn die Berliner nahmen ihr Wasser direkt aus der Spree und viele infizierten sich so mit Typhus-Bakterien. »Vorläufig stinkt es hier noch«, sagte Hufeland über Berlin, und das mag auch für seine Adresse gegolten haben. Alle späteren Umwälzungen, ob Industrialisierung und Aufklärung, die zunehmende Handelstätigkeit und Verbürgerlichung, konnten erst durch die Verbesserung der Hygiene und Sozialstandards – durch einen festeren Sitz der Menschen im Diesseits – erreicht werden. An diesen Zusammenhang erinnern die gespensterhaften Damen im Treppenhaus der Kanzlerin, die mit ihren weiten Kleidern Kinderlein zur Nacht oder zum Tage tragen. Die Reliefs zeigen auch, dass Häuser nicht erst heute, in Erinnerung an die Verfolgten und Ermordeten des Holocaust, zum Teil die Funktionen von Gräbern übernehmen, sondern dass es schon im Biedermeier, als die ersten Berliner Mietshäuser entstanden, Gesten der Mahnung und Erinnerung – memento mori – gab. Denn Mietshäuser und ihre Wohnungen sind keine Familienerbstücke, sie wechseln ihre Besitzer und Bewohner, ohne deren Geschichten und Erzählungen zu speichern. Alles Alte und Gelebte wird eines Tages ausgeräumt und Neues wieder eingeräumt, ohne Gedächtnis für das Gewesene. Das Haus selbst, und das ist die Erfindung der Gespenster-Kultur, wird aber doch langsam und zunächst abstrakt (mit bildhaften Allegorien), dann konkreter (durch Gedenktafeln), zum Gedächtnisspeicher von Zeiten, Geschichten und Menschen. Tafeln sagen: Ich wurde geboren, ich habe hier gelebt und etwas geleistet, dann bin ich gestorben. Spuk und Gespenster sagen: Ich habe auch hier gelebt, du übler Nachgeborener, auch wenn über mein Leben und meine Leistung nie etwas erzählt wurde.

Den Nachfolgern im Nachtleben
    Hemmungen, Beklemmungen hatte Udo selbstverständlich keine, als er eines Nachts zur Schaufel griff und zum Grab vom schönen Klaus in Berlin-Friedenau aufbrach. Bereits die Wochen davor, die er als zahlender Gast bei seinem deutlich jüngeren Bruder Gregor und dessen Frau Nicole verbrachte, waren geprägt davon, dass er sich als Haudegen und Held großer, alter Zeit inszenierte. Das war anstrengend, aber auch erregend, besonders für Nicole. Sie fragte sich bereits, ob Udo als Liebhaber taugte. Doch nicht allein sein Hang, den Morgenschiss zu kommentieren, ließ Nicole nachts in dem Bettchen bleiben, das sie mit dem ehemaligen Klassensprecher Gregor teilte. Sie brauchte nur an den brandenburgischen Frauenarzt zu denken, der jedes Jahr fette Geschenke von Udo erhielt (Hotelgutscheine, Kunstwerke, Porzellan), weil er ohne Aufhebens so manches Udo-Kind weggemacht hatte. Udos Weigerung, ein Kind in die Welt zu setzen, fand Nicole zutiefst unsouverän. Sie war eine Haut-und-Haar-Mutter, am liebsten hätte sie ihrem Schwager mit der hellblauen Ziegenhaarbürste das verbliebene Haar gekämmt. Udo mochte eine Stinkmorchel sein und mit einem Bein im Gefängnis stehen, aber Angst hatte er niemals, und das war der Grund, warum die Damen seine Nähe suchten. Er war der sorgengedrückte Besitzer eines Anwesens in Brandenburg, Schloss Mohawel, das er in den 1990er Jahren günstig von der Treuhand erworben und von einer Gruppe naiver Künstler hatte renovieren lassen. Als Gegenleistung durften sie im Schloss ausstellen, Theater spielen und eine

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