Die Gespenster von Berlin
Kantine betreiben. Das alles fungierte einige verregneteJahre prima als Deckmäntelchen für illegale Geschäfte mit geklauten Landmaschinen, Drogen für Berliner Clubs und rostigen Waffen für paramilitärische Männergruppen. Irgendwann trug die Chose nicht mehr, und Udo musste sich vermehrt im legalen Bereich tummeln. Er vermietet Schloss Mohawel seither. Diesen Herbst hatte er eine ZDF-Filmproduktion vor Ort, die Fontanes »Der Stechlin« mit Don Johnson in einer Gastrolle auf die Beine zu stellen sich mühte. Für die Dauer der Dreharbeiten hatte Udo sich bei seinem neunzehn Jahre jüngeren Bruder Gregor in Berlin-Mitte einquartiert. Das war für beide Seiten vorteilhaft. Gregor und Nicole brauchten dringend Geld. Manchmal waren sie so verzweifelt, da stiegen sie Samstagmittag in ihren Audi und fuhren in einen Arbeitslosenbezirk, um dort antibiologische Produkte einzukaufen. Udos Mietanteil war gern gesehen. Sie überließen ihm das Ehezimmer und das zweite Bad. Nicole ließ sogar geschehen, dass Udo die Kinder mit ihren sorgsam ausgependelten Vornamen Pups und Pupinchen nannte. Sie spülte auch Udos Morgenhaufen runter, wenn er es vergaß, und lobte deren feuchten Schein. Pups und Pupinchen verehrten ihren Onkel Udo. Manchmal nahm er die beiden mit in den Wedding, wenn er nachmittags in türkischen Arbeitervereinen Karten spielte oder Wetteinsätze auf Hundekämpfe in Ankara abgab. Dann durften sie ihm und einem Dutzend dunkelbärtiger Männer beim Rauchen, Teetrinken und Bescheißen zusehen. Pups und Pupinchen hatten dadurch plötzlich eine Chance im Leben erhalten, und der Tag würde kommen, dass man sich ihrer wirklichen Namen würde erinnern müssen.
Der Abend, an dem Udo den schönen Klaus auf dem Friedhof Friedenau ausbuddelte und ihm neues Lebeneinhauchte, begann damit, dass Nicole sich beim kalten Abendbrot erinnerte, dass in diesem Moment die Eröffnung der grossen Voodoo-Ausstellung im «Haus der Kulturen der Welt« stattfand, zu der sie wegen Netzwerkens im Bereich kultureller Maßnahmen eigentlich dringend hinmüsse. Udo und Gregor kauten zwar noch an ihren gebutterten Dinkelschnitten, doch versprachen, sie zu begleiten. Gregor holte seine alten Ausgehklamotten aus dem Schrank, deren Patina durch Plastikfolien geschützt war. Ungewaschen, ungebügelt, und noch nach dem Rauch des alten Bergstüberls miefend. Angetrocknete Spritzer Caipi und Kotze verstrich Gregor liebevoll auf dem Revers. Nicole hingegen, die sich nach einem mehrwöchigen Ethnologie-Studium daran erinnerte, dass Voodoo mit Haiti und vielleicht auch Brasilien zu tun haben könnte, zog dem Anlass entsprechend ihre neue, runtergesetzte ZARA-Bluse an. Ihre Waden streckten sich durch die hohen Absätze ihrer Lackpumps, zum Anbeißen, um es in Fiffi-Sprache auszudrücken. Pups und Pupinchen wurden ermahnt, nicht zu spät mit dem Fernsehen anzufangen, damit sie die lukrativen Quizsendungen nicht verpassten. Onkel Udo erlaubte jedem zehn kostenpflichtige Anrufe aus dem Festnetz und erklärte noch schnell, wie und mit welchen Substanzen man sich eine tiefe Telefonstimme ergurgelt. Wie heißt der Gegner von Schalke 04? Antwort A: Victoria Pilsen. Antwort B: Waltraud Weizen. Pups und Pupinchen schienen für die Aufgabe naturbegabt und würden auch keine fremden Leute reinlassen. Derartig mit sich im Reinen fuhren die drei mit Udos ’77er Mercedes in Eierlikörgelb (mit einer Umweltplakette, die er beim Kartenspiel gewonnen hatte) zum HdKdW. Nicole hektisierte sich durch die Menge. Der Hausphilosoph lag im Foyer aufeinem OP-Tisch und ließ eine Schröpfkur mit heißen Gläsern über sich ergehen. Internationale Künstler präsentierten Videos und es gab dutzende Objekte der Voodoo-Kultur zu sehen. Udo und Gregor besorgten Getränke, und Nicole begegnete dem Kulturattaché Lomoso Tonka, der sie mit einer Köpenicker Dame verwechselte, an die er zärtliche Erinnerungen knüpfte. Er griff nach ihrer Hand und platzierte ein Küsschen darauf.
»Sie sehen mich als einen verheirateten Mann vor sich stehen, Madam Zornig. Ich kann Ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen. Sind Sie mir sehr böse?«
Nicole ließ sich ihre Irritation nicht anmerken.
»Haben Sie mit dieser Ausstellung zu tun?«
»Oh ja«, sagte Lomoso, »ich habe die Fluido eingeführt, denn sie sind einem strengen Handelsverbot unterworfen und äußerst selten. Ich musste sie als Diplomat ins Land bringen und habe die Aufgabe, sie am Ende der Ausstellungszeit wieder in ihre Heimat
Weitere Kostenlose Bücher