Die Gespenster von Berlin
die für die Gespensterforschungen durchaus zugänglich war, allerdings fand sie bei der Sanierung der Häuser Am Kupfergraben 6 und 6 a und des Eckgebäudes Bauhofstraße 1 keine Anzeichen von Spuk. Wir saßen im Konferenzraum ihres Büros in Kreuzberg und sie zeigte mir die Akte zur Baugeschichte und zum Zustand der Häuser vor der Sanierung. Über Frau Merkel erzählte sie nichts, aber die Ruhebedürftigkeit von Herrn Sauer konnte sie bestätigen: »Herr Sauer wird sauer« – vor allem, wenn es gegenüber wieder laut wird, weil Straßenmusikanten auf der Treppe zum Pergamonmuseum den Touristen einen Klangteppich aus Geige, Gitarre und Rasseln bereiten. Eine wichtige Spur, die sich nach diesem Termin ergab, waren die Fotografien aus dem Treppenhaus. Zwei Reliefmedaillons sind an den Wänden, nach den Motiven »Die Allegorie des Tages« und »Die Allegorie der Nacht«. Sie sind Werken des populären, dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen (1770-1844) getreu nachempfunden. Diese Wandreliefs mussten in der Sanierung erhalten bleiben, wie auch der ganze Gebäudekomplex selbstverständlich unter Denkmalschutz steht. Er ist ein »Brennpunkt des Biedermeier«, wie es der Architektur-Historiker Dieter Hoffmann-Axthelm formuliert hatte, überhaupt sind nur sehr wenige Mietshäuser dieser Epoche hier erhalten. Es handelt sich um die ersten Mietshäuser der Stadt, denen Stadthäuser und Werkhallen weichen mussten. Noch unter der Adresse »Am Ludwigsgraben« gab es ab dem 16. Jahrhundert eine Eisen- und Kupfergießerei, die zu dem späteren Namen führte. Der Dichter Heinrich Heine beschrieb die Gegend in seinen spöttelnden Reisebildern vom Sommer 1822. Er kam hier auf seinem Weg ins Café Royal vorbei (das am Bebelplatz lag, damals Platz am Opernhaus) und dachte dabei an den geradeim Sterben liegenden E. T. A Hoffmann. Heine hielt große Stücke auf Hoffmann (der von Zeitgenossen auch »Gespenster-Hoffmann«, häufiger jedoch Säufer und Trunkenbold genannt wurde), aber der »tiefe Kenner der Menschen und Bestien« (so Heine) starb in jenem Sommer in der nahen Charlottenstraße am Gendarmenmarkt. Der Schriftsteller Gottfried Keller verbrachte später in der Bauhofstraße 2 eine entbehrungsreiche aber produktive Zeit. Hier schrieb er 1854/55 den Roman »Der grüne Heinrich«. Zunächst wollte er nur ein Jahr in Berlin bleiben, aber es wurden fünf daraus. Die Bauhofstraße muss ihm den Rest gegeben haben, danach zog er zurück ins heimatliche Zürich, wo Anerkennung und ein langes Leben ihn erwarteten.
Noch prominenter war das im 2. Weltkrieg durch eine Bombe zerstörte Wohn- und Sterbehaus des Philosophen G. W. F. Hegel, das sich Am Kupfergraben 4 a befand. Hegel starb 1831, zur Bauzeit des Wohnhauses der Kanzlerin. Lange wurde vermutete, Hegel sei an der Cholera gestorben, die Berlin 1831 epidemisch heimsuchte, doch neuere Vermutungen legen ein chronisches Magenleiden nahe. Die Berliner Bevölkerungszahl lag damals bei etwa 250 000 Einwohnern und in der Hochphase der Cholera starben etwa zweihundert Menschen täglich. Die entsetzliche Erfahrung von allgegenwärtiger Krankheit und Todesbedrohung mag dazu beigetragen haben, dass entweder der Bauherr vom Kupfergraben 6 – ein gewisser Johann Traugott Börner – oder der darauf folgende Besitzer des Hauses, der Buchhändler Moses Simion, die stimmungsvollen Wandreliefs anbringen ließ – sie thematisieren Leben und Tod. Beide Allegorien zeigen Frauengestalten, die mit ihren Flügeln Engeln gleichen, aber sie sind adult und ausgewachsen und tragen je ein Kind auf dem Arm oder dem Rücken. Der Allegorie des Tages ist ein Blütenblätter-Regen beigegeben, der Allegorie der Nacht eine Eule mit ausgebreiteten Schwingen. Der Bildhauer Thorvaldsen, der in Rom lebte, schuf mit diesen Allegorien Ikonen des Trauerschmucks und der Friedhofsskulptur, die in die europaweite Massenfertigung gingen. Ist es vermessen, diese Bilder im Kontext der hohen Kindersterblichkeit und Kindbett-Sterblichkeit der Mütter zu interpretieren? Wenn Am Kupfergraben 6 und 6 a als ein »Brennpunkt des Biedermeier« bezeichnet wird, dann ist er das vor allem in sozialgeschichtlicher Hinsicht: Gleich um die Ecke unseres Spukhauses wohnte und starb Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1834), in einem Teil der Bauhofstraße, der heute Hegelplatz heißt. Die Bauhofstraße war von Holzbauarbeiten für das Stadtschloss geprägt, deshalb der Name Bauhofstraße, es war eine Handwerksstraße. Schiffe entluden hier das
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