Die Gespenstergruft
Das mußte einfach eine Leiche sein!
Wie eine schrille Botschaft zuckten diese beiden Gedankenströme durch Walter Cohns Kopf. Plötzlich war er wieder voll da. Als hätte man ihm einen Schleier vom Gesicht gerissen, bekam er alles wieder klar und nüchtern mit. Er dachte jetzt daran, wo er sich befand, in einer Gespenster-Gruft nämlich. Und das Wort Gruft sorgte auch für eine indirekte Verbindung zu den Toten, denn in einer Gruft wurden Leichen bestattet. Da lagen sie dann, vermoderten und verfaulten. Ihre Knochen zerbröselten, wenn genügend Zeit vergangen war.
Wie hätte er auch annehmen können, daß man ihn in eine leere Gruft gesteckt hatte! Irrsinn!
Noch immer lag seine Hand auf der weichen Masse, die ein Gesicht war.
Noch immer spürte er die Haarsträhnen in den Lücken zwischen seinen Fingern. Erinnerungen an fettige Ölbänder schreckten in ihm hoch, und er fing an, innerlich zu frieren.
Er wollte die Hand wegnehmen, nur war das nicht möglich. Etwas zwang ihn, sie auf dem Gesicht liegen zu lassen. Wie ein Masochist, der sich selbst noch quälen wollte, bewegte er zuckend seine Finger, um die Kuppen in das weiche Fleisch hineinzudrücken, das sich aufgequollen und beulig anfühlte.
Wieder schauderte Cohn. Das war so etwas wie ein Startsignal. Endlich brachte er es fertig, seine Hand vom Gesicht dieser starren Gestalt zu lösen, und er dachte jetzt darüber nach, ob er tatsächlich einen Toten angefaßt hatte, oder ob diese Gestalt nur bewußtlos war. Zumindest schloß er diese Möglichkeit nicht aus, denn auch er wäre fast vor Erschöpfung zusammengebrochen. Warum hätte es einer anderen Person nicht ähnlich ergehen sollen? Dabei wußte er nicht einmal, ob es sich bei dieser Person um einen Mann oder eine Frau handelte.
Seine Hand rutschte wieder ab. Das Auffinden der bewegungslosen Gestalt hatte auch etwas Gutes gehabt. Ein Adrenalinstoß war durch seine Adern gejagt, er hatte wieder Kraft gefunden und schaffte es auch, einigermaßen klar zu denken.
Nein, die Gestalt lebte nicht mehr. Er hätte etwas spüren müssen. Einen schwachen Atem zumindest, ein Zucken der Adern unter der dünnen Haut.
Da war nichts gewesen…
Walter Cohn rollte sich zur Seite, damit er näher an die Leiche herankommen konnte. Direkt aus der Nähe erwischte ihn der widerliche Geruch, und da wußte er Bescheid.
Dieser süßliche und ekelhafte Gestank konnte nur von jemandem abgegeben werden, der sich im Zustand der Verwesung befand. Der bereits seit einigen Tagen tot war. Möglicherweise hatte auch dieses Opfer alles versucht, um der Gruft zu entkommen, vergeblich. Das vorgeschriebene Schicksal hatte ihn ereilt, und plötzlich spürte Walter in der Brust die Beklemmung, als er daran dachte, daß auch er bald hier liegen würde.
Verloren und tot…
Dahinsiechen, vermodern, wobei zudem niemand wußte, wo er sich befand. Und diejenigen, die seinen Sterbeplatz kannten, würden sich hüten, darüber mit anderen zu reden. Das hatten die Satanisten nicht nötig. Sie trieben ihr eigenes Spiel und dienten einer weitaus gefährlicheren Macht, die mit Menschenleben nichts am Hut hatte, die mit ihnen spielte, weil ein Leben für sie nichts wert war.
Walter Cohn hörte sich selbst keuchen. Seine Kehle war wieder trocken, überhaupt sehnte er sich nach Feuchtigkeit und wenn es nur Tropfen waren, die er von der feuchten Wand ablecken konnte.
Es war schlimm, viel schlimmer, als er es sich hatte vorstellen können.
Plötzlich hatte die Hölle ihren Rachen weit aufgerissen und war dabei, ihn zu verschlingen.
Satan persönlich wartete auf ihn und seine Seele.
Er kroch weiter. Für einen Moment hatte er die Orientierung verloren, er stieß gegen den Toten und berührte den Bauch, den er leicht eindrückte.
Schauer überrollten ihn. Für einen Moment rebellierte der Magen, aber Walter machte weiter und wollte sich auf keinen Fall von irgendwelchen Dingen aufhalten lassen.
Erst die dicke Gruftwand stoppte ihn.
Er holte tief Luft. Seine Zunge schnellte hervor, sie glitt über rauhes Gestein hinweg, streichelte mit der Spitze weiches Moos, war auf der Suche nach Feuchtigkeit. Er riß wieder kleine Moosstücke aus dem Verbund, steckte sie in den Mund und kaute auf ihnen herum, um auch den letzten Tropfen Feuchtigkeit herauszusaugen.
Er kaute, er spie den Rest aus, ihm wurde leicht übel, dann verließen ihn die Kräfte, und Walter Cohn brach wieder zusammen. Wie lange er auf dem Boden gelegen hatte, konnte er nicht sagen, sicher
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