Die Gespenstergruft
war nur, daß er noch lebte.
Irgendwann war er wieder soweit, daß er die Umgebung klar erfassen konnte. Er rekapitulierte und kam zu dem Ergebnis – wie so oft schon –, daß er dieser Falle nicht mehr entkommen konnte. Er machte sich mit dem Gedanken vertraut, in dieser Gespenster-Gruft verhungern und verdursten zu müssen. Der Rest an Feuchtigkeit an der Wand und in der Moosschicht reichte einfach nicht aus, um die nächsten Tage zu überleben. Er würde eingehen und sterben.
Ohne es bewußt zu merken, hatte er sich wieder hingesetzt. Die Wand diente seinem Rücken als Stütze. Dort hockte er, den Kopf gesenkt, voll seinen trüben Gedanken hingegeben und von leichter Panik geschüttelt.
Das war wohl die letzte kleine Flamme, die in ihm loderte, ein verzweifeltes Aufbäumen gegen den Tod, der trotzdem unweigerlich kommen würde.
In seinem Kopf rauschte es, als würde Wasser durch die Adern fließen.
Er spürte gleichzeitig einen harten, schmerzhaften Druck, und das Pochen hinter der Stirn verglich er mit den leichten Schlägen von Trommelstöcken.
Da war noch etwas anderes.
Zuerst bekam er es nicht richtig mit. Zwar hörte er es, registrierte es wohl, dachte darüber aber nicht weiter nach, denn es erinnerte ihn an Echos, die durch sein Gehirn tobten. Als wären irgendwo hohe, schrille Schreie aufgeklungen, die durch die finstere Gruft irrten, um in seinem Kopf ein Ziel zu finden.
War er nicht mehr allein?
Walter Cohn riß die Augen weit auf, obwohl dies keinen Sinn hatte, denn er bekam nichts mehr zu sehen. Die Dunkelheit war einfach zu dicht.
Wie Watte lag sie über der alten Gruft.
Feuchte Watte, die das Atmen erschwerte…
Er stierte trotzdem nach vorn in die Dunkelheit hinein, weil er davon überzeugt war, daß sich dort etwas tat.
Wieder dieser seltsame Laut.
Ein leises Heulen oder Jaulen, das durch die Finsternis schwang und in seinen Ohren wetterte.
Cohn saß starr. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Dieses unheimlich klingende Geräusch hatte ihn aus seiner Erstarrung gerissen, er war wieder voll da, zumindest gedanklich, und spürte auf seinem Körper die riesigen Eiskörner.
Ich bin nicht mehr allein, schoß es ihm durch den Kopf. Es war der erste klare Gedanke, den er nach dieser langen Zeit fassen konnte. Der erste Gedanke.
Das machte ihm Mut. Er war noch da, er befand sich nicht mehr in einem Zustand tiefer Lethargie. Er konnte wieder etwas hören, und seine Sinne funktionierten noch.
Das Heulen war verstummt.
Stille herrschte.
Nicht lange, denn wiederum hörte er ein Geräusch. Diesmal war es kein Heulen, es erinnerte ihn mehr an ein schrilles Kichern, das durchaus von einer überdrehten Frauenstimme stammen konnte.
Walter Cohn blieb auf der Stelle sitzen, obwohl er am liebsten weggerannt wäre, doch dazu war er zu schwach.
Er mußte bleiben.
Und das Kichern verließ ihn nicht. Es umkreiste ihn. Es wechselte, es schien aus verschiedenen Richtungen an seine Ohren zu dringen, und es hüllte ihn ein wie eine Mütze, die hoch über seinem Kopf schwebte.
Die Dunkelheit war zwar die gleiche geblieben, sie kam ihm jedoch verändert vor. Sie war aufgefüllt worden von einer unheimlichen Macht, die er mit der Kraft der Hölle verglich.
Waren das die Schreie des Teufels? Die verrücktesten Gedanken huschten durch seinen Kopf. Er stellte sich schon eine furchtbare Gestalt mit Hörnern vor, die in der Finsternis der Gruft lauerte und ihn aus dem Schatten hervor beobachtete.
Vielleicht schrie der Teufel nicht. Vielleicht bildete er sich auch alles nur ein. Seine Nerven waren überreizt, fremde Botschaften drangen nur teilweise und dann noch als verkehrte Botschaft an sein Gehirn.
Möglicherweise rutschte er bereits in einen bestimmten Zustand hinein, wo es ihm nicht mehr gelang, die Realität von seinen Alpträumen zu unterscheiden. Das alles gab es, das alles konnte passieren, da verwischten dann die Ebenen miteinander, und er war nicht mehr in der Lage, auch nur grob die Dinge zu trennen.
In seinem Magen lag ein Druck, als hätte eine Faust in ihn hineingebohrt.
Sicherlich ein Gefühl der Angst, aber keine Furcht, die er kannte. Diese hier war anders, so verdammt endgültig.
Er stierte nach vorn.
In der Finsternis bewegte sich etwas. Unheimliche Schattenlichter tanzten zwischen den Wänden. Sie waren nicht hell, sondern hatten sich der Dunkelheit angepaßt. Sie sahen aus wie tanzende Blitze, durch deren Helligkeit sich ein grauer Streifen geschoben hatte.
Der Anfang vom
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