Die Gespenstergruft
Ende?
Cohn spürte den Druck im Magen. Ein würgendes Gefühl kletterte die Kehle hoch. Er wartete ab, und er war sich irgendwo klar darüber, daß er in diesem Augenblick auf den Tod wartete.
Es war schlimm für ihn, daran zu denken, doch er befand sich in einer Situation, in der er sich keine Illusionen mehr zu machen brauchte. Es ging dem Ende entgegen.
Die blassen Schattenfeuer blieben.
Sie konzentrierten sich auf eine Stelle. Dort tanzten sie, dort zerschnitten sie die Dunkelheit. Sie bewegten sich von oben nach unten, von rechts nach links. Ihm kam es vor, als hätte sich dort eine Person versteckt, die eine Taschenlampe ständig zuckend bewegte und dabei das Licht mit der Handfläche abgedunkelt hatte.
Angst nahm bei ihm Gestalt an. Sie schien sich in zahlreiche Würmer geteilt zu haben, die in seinen Körper gekrochen waren und von ihm Besitz ergriffen hatten.
Die Schattenlichter blieben.
Kamen sie näher?
Ja, auf einmal waren sie da. Dabei hatten sie sogar Gestalt angenommen, und Walter Cohn konnte kaum glauben, was er da zu sehen bekam. Das war kein Licht mehr, es setzte sich nicht mehr aus verschiedenen hellen Blitzen zusammen. Es hatte tatsächlich Gestalt angenommen, und er dachte in diesem Augenblick an den ersten Begriff, der der Gruft den Namen gegeben hatte.
Gespenster!
Ja, das genau war es.
Vor ihm tanzte ein Gespenst. Eine bleiche Gestalt, mit einem Körper versehen, aber trotzdem körperlos. Ein Wesen, das er als Frau mit blonden Haaren identifizierte, das so verflucht real vor ihm tanzte, es aber nicht war.
Ein Geist…
Er hielt den Atem an. Sein eigenes Schicksal hatte er vergessen. Von nun an konzentrierte er sich voll und ganz auf diesen fürchterlichen Anblick, und dabei spürte er, wie heiße Ströme seinen Körper durchwanderten.
Die Distanz zwischen ihm und der Gestalt war nicht einmal zu schätzen.
Walter sah nur, daß sie sich nicht mehr bewegte und ihn direkt anstarrte.
Ein Gesicht bleicher als die Haare. Ein Körper, dessen Umrisse zitterten, als wollten sie jeden Augenblick auseinanderfallen. Aber der Körper hielt sich, er blieb zusammen. Nichts löste sich aus seinem rieselnden Verbund. Der Gefangene hob den Blick, weil er in das Gesicht der gespenstischen Frau sehen wollte.
Bleich, unheimlich. Nicht anders sah auch der Körper aus. Der rechte Arm war nach vorn gestreckt worden. Cohn konnte einen Blick gegen die Hand werfen.
Aus der Faust ragte etwas Langes hervor, das an seinem Ende spitz zulief.
Eine Messerklinge!
Er schluckte. In seiner Kehle lag die Wüste wie eine große trockene Fläche.
Dann hörte er wieder das Kichern. Er selbst konnte hier nichts beeinflussen, denn er war nicht mehr als ein Statist. Dieses Wesen gehorchte anderen Gesetzen, wahrscheinlich denen der Hölle. Und der Teufel persönlich mußte ihm die Kraft gegeben haben.
Kein Laut war zu hören, als sich das Wesen bewegte. Er wünschte sich, daß es von ihm wegschweben würde, das Gegenteil war der Fall. Er huschte auf ihn zu. Zwar blitzschnell, aber noch so langsam genug, daß er verschiedene Dinge wahrnehmen konnte.
Zum Beispiel das Hochzucken des Messerarms, dann das Hinabsausen der Klinge.
Sie zielte auf ihn. Sie traf ihn auch!
Er hörte sich selbst schreien, weil er damit rechnete, daß ihn die Klinge im nächsten Augenblick die Brust zerschneiden würde, um ihn in zwei Hälften zu reißen.
Das geschah nicht.
Etwas Kaltes berührte ihn, als wäre ein dichter Nebelstreif gegen ihn geweht. Für einen Moment bekam er keine Luft mehr, dafür erklang in seinen Ohren wieder das schrille Lachen, und er wußte genau, daß er dieses Geräusch nicht ausgestoßen hatte.
Lachende Gespenster…
Ein Gedanke und gleichzeitig eine Feststellung, die Walter Colin nicht begriff.
Der kalte Hauch verschwand.
Cohn drehte den Kopf und verdrehte auch die Augen. Er schaute zu, wie die bleiche, durchscheinende Gestalt an der Wand in die Höhe kroch und sich dabei der Decke näherte. Sie sackte auch nicht nach unten, sondern knickte ab, als sie die waagerechte Fläche erreicht hatte und mit der Hälfte des Körpers an der Decke entlangschwebte.
Dort blieb sie wie ein vibrierender heller Schatten, nicht mehr als ein Fleck, der verzerrte Umrisse angenommen hatte.
Ein böse verzogenes Gesicht grinste auf ihn nieder. Dieses weibliche Gespenst hatte genau gewußt, was es tat, und es lauerte auf den nächsten Angriff.
Trotz der schwülen Hitze lief Walter ein kalter Schauer über den Rücken.
Der
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