Die Gespenstergruft
irgend etwas eingefallen war. Hervorgetaucht aus einer Erinnerung, die sich noch um sein Gefängnis drehte, in das man ihn gesperrt hatte.
Wasser!
Dieser eine Begriff schwebte ihm vor. Er hielt die Augen weit offen, und sein Unterbewußtsein spülte Bilder hoch, die er einfach nur als wunderbar ansehen konnte.
Eine Halluzination, eine Fata Morgana in diesem verfluchten Verlies. Er sah gewaltige Wassermengen, die auf ihn zurollten, und er selbst lag dabei an einem herrlichen Sandstrand. Der Wind war aufgefrischt, er türmte das Wasser hoch zu gewaltigen Wellen, die sich noch einmal reckten, um danach auf ihn niederzufallen.
Das aber geschah nicht.
Bevor ihn die Wellen überspülten, brachen sie auseinander. Sie verschwanden, sie lösten sich auf, und es war nur mehr der Gischtrest, der vom Wind fortgeweht wurde.
Wieder die alte Umgebung. Wieder die verfluchte Finsternis, angefüllt von einem heranschleichenden Grauen, denn Walter war davon überzeugt, daß sich ihm etwas näherte.
Wie ein Untier kroch es heran. Es war nicht zu hören, nur zu fühlen. Kein Schleifen auf dem Boden, das Unheil kam lautlos. Es drang in seine Gedanken ein, formierte sich allerdings noch nicht zu einer konkreten Aussage, so daß ihn zunächst die Wirklichkeit festhielt.
Das war die Wand.
Er stieß mit der Stirn dagegen, wobei ihm der leichte Schmerz nichts machte. Zudem war der Stoß durch die weiche Moosschicht abgefedert worden.
Weich und feucht…
Die Erinnerung kehrte zurück. Er hatte das Moos abgeleckt und seine Zunge auch in die Ritzen des feuchten Mauerwerks hineingedrückt, um dort das Kondenswasser aufzunehmen. Das tat er auch jetzt.
Es war wunderbar, er konnte nicht aufhören zu lecken. Walter erinnerte an eine Katze, die vor ihrem Teller mit Wasser saß und die Flüssigkeit schlürfte. Doch da waren kleine Pflanzen, die sich an der Mauer festkrallten. Im Magen spürte er durch sie einen seltsamen Druck. Ihm wurde leicht übel, dennoch rutschte er auf den Knien weiter und leckte an anderen, frischen Stellen.
Wasser, nur Wasser…
Das Zeitgefühl interessierte ihn nicht mehr. Urinstinkte drangen in Walter Cohn hoch. Jetzt wollte er nichts anderes tun, als am Leben zu bleiben, und das so lange wie möglich.
Nie hätte Walter Cohn gedacht, daß es ihm möglich war, eine derartige Verbissenheit an den Tag zu legen. Er kämpfte sich vor. Er sagte sich, daß mit jedem Tropfen, den er ableckte, ein Stück Energie in seinen Körper floß.
Diese Energie machte ihn zwar nicht frisch, aber sein Zustand verschlechterte sich wenigstens nicht, und allein darauf kam es ihm an.
Ein krächzender Ruf der Enttäuschung verließ seinen Mund, als er keine Flüssigkeit mehr ablecken konnte und auch nicht das weiche Moos unter seiner Zunge spürte.
Da sank er zusammen.
Nicht aufgeben! Nicht aufgeben! Nicht hinfallen, dann wird es schwer sein, wieder in die Höhe zu kommen.
Er blieb am Boden, setzte sich allerdings mit dem Rücken an die Wand.
Hier wollte er warten.
Auf was warten?
Als Walter sich mit dieser Frage beschäftigte, konnte er sein eigenes Lachen nicht unterdrücken. Für ihn hörte es sich an, als wären die Laute von einer fremden Stimme abgegeben worden.
Furcht schüttelte ihn. Obwohl die verdammte Gruft groß genug war, kam sie ihm plötzlich eng vor. Er kannte nichts von einer Höhe, nichts von der Länge und auch nichts von der Breite.
In einem leichten Anfall von Panik tastete er in die Runde. Er bewegte seine Handfläche über den Boden, er wollte herausfinden, ob seine Befürchtungen stimmten, und er fand ein Ziel.
Seine Handfläche klatschte nicht mehr gegen den harten Untergrund.
Sie traf etwas Weiches.
Walter Cohn erstarrte.
Unbeweglich wie eine Eisfigur bei starkem Frost hockte er auf der Stelle und hatte sich vorgenommen, über die Veränderung nachzudenken, was er aber nicht schaffte.
Dieser weiche Widerstand… er… er ekelte ihn an. Was konnte das denn sein?
Walter Cohn überwand sich selbst, als er seine Hand abermals bewegte.
Er schob sie weiter vor, behielt dabei eine bestimmte Richtung genau bei und stellte fest, daß die weiche Masse unter seiner Handfläche zunächst noch blieb.
Dann allerdings wurde sie abgelöst.
Etwas anderes geriet zwischen seine leicht gespreizten Finger. Es fühlte sich dünn, strohig und gleichzeitig auch fettig an. Wie mageres Gestrüpp.
Das war es nicht.
Es waren Haare.
Plötzlich wußte er Bescheid.
Neben ihm lag eine reglose Gestalt!
***
Ein Toter!
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