Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
Vom Netzwerk:
beim Tanzen Flügel«, grinste er, und eine Woge Mundgeruch schlug mir entgegen. Ich wich zurück. Das Wort »atemfrisch« kannte der wohl auch nur aus dem Apotheken-Schaufenster. Er schien nichts von meinem Widerwillen zu bemerken, sondern beugte sich vertraulich zu mir. »Wenn du allerdings einen
richtigen
Stimmungsmacher brauchst, dann hätte ich auch was für dich!«
    Er fischte aus seiner Hosentasche eine kleine Tablette und hielt sie mir hin. »Liquid Sunshine«, flüsterte er und zeigte beim Lächeln große, gelbe Zähne.
    Ich verstand wieder mal nur Bahnhof, aber weil ich mir Sorgen um Jonathan machte und außerdem Mitternacht immer näher rückte, beschloss ich, kurzen Prozess zu machen.
    »Ich brauche nichts«, beschied ich ihm und wollte mich an ihm vorbeidrücken. Doch er stellte sich mir in den Weg. Sein Grinsen war nicht mehr so breit, trotzdem wollte er nicht aufgeben. »Nun sei doch nicht so zickig! Also, was willst du trinken?«
    »Etwas, das blind macht?«, schlug ich vor. Ich war wegen Udo und Frank äußerst angespannt und hatte keine Lust auf eine plumpe Anmache. Insgeheim dachte ich, dass nicht einmal ein halber Liter reinen Alkohols genügen würde, um mir diesen Typ schönzutrinken.
    Plötzlich tauchte Jonathan vor uns auf. »Da bist du ja, Emma!«, rief er und umarmte mich erleichtert.
    »Du hättest ja auch gleich sagen können, dass du einen Freund hast«, meinte der Platingefärbte etwas beleidigt. Jonathan wandte den Kopf und bedachte ihn mit einem einzigen, stahlblauen Blick. Hochaufgerichtet und die Schultern gestrafft, sah er nun wirklich aus wie ein Musketier, und Blondie zog den Kopf ein. »He, ganz locker, Mann! Ich will keinen Stress so kurz vor Mitternacht, okay?«
    Ich zuckte zusammen. Im selben Moment rief mir Jonathan zu: »Eile dich, Emma! Bald schlagen die Uhren die volle Stunde!«
    »Nichts wie weg«, schrie ich.
    »Was ist dann, Cinderella, verwandelt sich etwa deine Kutsche in einen Kürbis?«, spottete der Platinblonde.
    Ich ignorierte ihn und verständigte mich mit Jonathan durch einen Blickwechsel. Wortlos steuerten wir Richtung Ausgang.
    In diesem Moment verstummte schlagartig die Musik, stattdessen ertönte die Stimme des DJs. »Liebe Freunde der Nacht, bis zur Geisterstunde sind es nur noch zwei Minuten, und soeben ist die Polizei zu einer Kontrolle angerückt. Ihr habt unserem Türsteher ja schon beim Reinkommen versichert, dass ihr alle volljährig seid. Also zeigt euch kooperativ, dann kann’s gleich weitergehen mit der heißesten Musik im coolsten Club der Stadt.«
    »Oh, oh, Bullenrazzia«, murmelte der Stoppelkopf und verschwand hastig Richtung Toiletten.
    »Shit!«, japste ich und blickte mich panisch um, »ohne Ausweise sind wir geliefert!«
    Dann aber fiel mir ein, dass ich ein noch viel größeres Problem hatte. Sollte Laurins Fluch bei mir erneut wirken, würde ich mich in wenigen Sekunden in eine Katze verwandeln – mitten auf der Tanzfläche!
    »Los, hier rein«, zischte ich und schob Jonathan vor mir her in den Durchgang, über dem ein Schild mit einem Pfeil und der Aufschrift » WC « stand und wohin der Blonde gerade verschwunden war. Dahinter erstreckte sich ein schmaler, fensterloser Gang, von dem rechts zwei Türen zu den Herren- und Damentoiletten abgingen. Links befand sich eine Tür, auf der »Privat« stand. Ich rüttelte an der Klinke, doch sie war verschlossen.
    Schon fühlte ich den aufziehenden Schmerz der Verwandlung, der mich überfiel. Es war zu spät, um mich noch in eine der Toilettenkabinen zu retten, ehe der Zauber zu wirken beginnen würde. Der Gang war leer, aber was würde passieren, wenn jemand aus der Toilette kam oder im Durchgang auftauchte? Das grelle Neonlicht würde meine Verwandlung in allen Einzelheiten zeigen! Wild um mich blickend suchte ich nach einem Versteck, da bemerkte ich einen grauen Kasten an der Wand. Die Sicherungen! Mit letzter Kraft warf ich mich nach vorne, öffnete ihn und drückte anschließend mit beiden Händen gleichzeitig sämtliche Hebel nach unten. Schlagartig wurde es dunkel. Schreie und Flüche hinter den Toilettentüren ertönten.
    Ich nahm es nur verschwommen wahr, denn mein Innerstes schien Feuer gefangen zu haben. Ich krümmte mich in ohnmächtigem Schmerz, fiel nach vorne … und landete weich auf vier Pfoten.
    Ich brauchte einen Augenblick, um mich wieder an meine verwandelte Gestalt zu gewöhnen, doch dann erspähte ich mit meinen scharfen Katzenaugen Jonathan, der in der abrupten

Weitere Kostenlose Bücher