Die gestohlene Zeit
Verwandlung hatte ich und später auch er zunächst erfolglos an der Klinke gerüttelt, bis die versperrte Tür plötzlich doch aufgesprungen war.
Wieder maunzte ich und übermittelte ihm gedanklich meine Frage. Er dachte nach. »Ja, der Zugang war eindeutig versperrt. Erst nachdem ich den Stein aus dem Zwergenreich dagegengeschleudert hatte, öffnete sie sich wie durch Zauberhand.« Jonathan stockte. Wir sahen uns an.
»Sollte etwa der Kiesel aus Laurins Höhle …?«, formulierte er die Frage, die mir auch gerade durch den Kopf geschossen war.
»Probier es aus«, hätte ich am liebsten gerufen, aber Jonathan sah sich bereits suchend um. Sein Blick fiel auf einen der Metallcontainer, dessen geschlossener Deckel mit einem massiven Metallschloss gesichert war.
Zögernd ging er darauf zu und zog den Kiesel aus der Tasche. Der schwarze Stein glimmte schwach. Er streckte den Arm aus und näherte sich dem Container. Das Glühen wurde stärker, und als Jonathan den Verschluss mit dem Stein berührte, gab es einen kurzen Funken – und schon sprang der Deckel auf. Das Schloss flog durch die Luft und kam mit zerbrochenem Bügel ein paar Schritte weiter auf dem Boden zu liegen.
»Das ist höchst erstaunlich«, murmelte Jonathan und musterte den schlichten Kiesel in seinen Fingern, der jetzt wieder stumpf und unscheinbar aussah. Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, gleichzeitig bückte er sich zu mir herunter, und unsere Blicke trafen sich. »Die eiserne Geheimtür, hinter der Laurins Ring liegt«, sprach er aus, was ich dachte. »Mit Hilfe des Steines kommen wir in Udos Haus – und dann holen wir uns den verzauberten Schmuck aus dem Geheimversteck!«
Ich miaute zustimmend, und wilde Freude durchströmte mich. Morgen würde Udo mit der ganzen Familie außer Haus sein. Das war unsere Chance, bald von dem Fluch erlöst zu sein! Dann müssten wir nicht mehr den Tag oder die Nacht im Körper einer Katze und eines Raben verbringen und könnten endlich wieder länger als eine einzige kostbare Stunde in Menschengestalt zusammen sein!
Bei dieser Aussicht raste ich einmal übermütig im Kreis und sprang als Dreingabe noch auf einen der geschlossenen Container. Solange ich noch eine Katze war, durfte ich mich auch so benehmen, dachte ich.
»Ich müsste denken, du hättest den Veitstanz«, bemerkte Jonathan lächelnd, »aber ich glaube, du bist einfach glücklich«, und ich wusste, er fühlte genauso. Leichtfüßig hüpfte ich wieder auf den Boden. Einträchtig machten wir uns auf den Heimweg: ein schlanker junger Mann mit dunklen Haaren, neben dem eine rot-weiße Katze tänzelte. Zum ersten Mal hatte ich keine Angst mehr, für immer verflucht zu sein, sondern war mir sicher, bald den Ring in den Händen zu halten. So beseelt war ich von dem Gedanken, dass ich gar nicht mehr darüber nachdachte, was Udo sich bei meinem Anblick eigentlich gedacht hatte. Ich traute diesem plumpen, unbeholfenen Mann nicht so viel Grips zu, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
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Kapitel 15
H örst du mir überhaupt zu? Ich habe gesagt, wenn ich bis morgen die Kohle nicht kriege, dann …«
»Ja, okay, du bekommst dein Geld! Kannst du jetzt mal für einen Moment die Schnauze halten, ich muss nachdenken!«
Frank glotzte Udo verdattert an. Sonst lenkte der doch nie ein, jedenfalls nicht so schnell und nicht ohne Drohung. Wieso ging Udo plötzlich so bereitwillig auf Franks – nun ja, etwas deutlicher formulierte – »Bitte« ein, ihm monatlich zwei Hunderter mehr rüberzuschieben?
Mitleid, weil Frank kurz davor stand, aus seinem schäbigen Einzimmer-Apartment zu fliegen, konnte es nicht sein. Udo wusste auch nichts davon, dass der Wirt von
Ricks Eck,
Franks Stammkneipe, ihm gedroht hatte, wenn er seine Schulden nicht bezahlen würde, hätte er bald keine heile Nase mehr. Ganz zu schweigen von den Außenständen, die Frank im
Casino Royal
und bei dessen Besitzer Lacky (mit »a«, weil der kein Englisch konnte), einer heruntergekommenen Halle mit ein paar einarmigen Banditen und einem Billardtisch, hatte. Den Hunderter, den Udo ihm neulich zugesteckt hatte, war Frank längst los. Statt seine offenen Rechnungen zu begleichen, war er in eine Hotelbar gegangen und hatte sich mit mehreren Wodkashots und einer schlecht gefärbten Blondine amüsiert, die Frank jedoch stehengelassen hatte, sobald das finale Glas ausgetrunken und der letzte Euro über den Tresen gewandert war.
Was blieb ihm
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