Die gestohlene Zeit
Finsternis fieberhaft in seiner Hosentasche wühlte. Gleich darauf durchbrach ein sanftes Glühen die Dunkelheit: Es kam von dem Kiesel aus Laurins Felsenreich, den Jonathan in der Hand hielt. Er richtete den schwachen Lichtstrahl auf mich. »Wir müssen hier raus«, sagte er und blickte sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Mein Gehör, das als Katze um einiges besser war als das eines Menschen, vernahm derweil sich nähernde Stimmen. »Ihren Ausweis bitte«, sagte eine Frau und dann: »Als Nächstes kontrollieren wir die Waschräume. Beliebtes Versteck, das kennen wir ja!«
Ich lief zu Jonathan und versetzte ihm einen Stups. Er konzentrierte sich auf meine Gedanken.
»Dort draußen stehen zwei Frauen in Uniform, die gleich hier hereinkommen wollen?«
Ich miaute zustimmend und blickte Jonathan drängend an.
Ich war als Katze momentan vielleicht aus dem Schneider, doch er würde nicht ungeschoren davonkommen. Weder besaß Jonathan einen Pass, noch war er irgendwo offiziell gemeldet. Der Abend drohte in eine Katastrophe zu münden. Jonathan griff nach der Klinke der Tür zur Linken mit der Aufschrift »Privat«.
»Die ist versperrt«, wollte ich sagen, aber aus meiner Kehle kam nur ein Maunzen.
In diesem Augenblick ging die Tür zum Gang auf, und zwei dunkle Umrisse im Durchgang entpuppten sich als uniformierte Beamtinnen. Hastig verbarg Jonathan den Stein in seiner gewölbten Hand, und es wurde erneut stockdunkel.
»Bitte schalten Sie das Licht im Flur und in den Waschräumen an, damit wir die Kontrolle fortsetzen können«, sagte eine Polizistin streng. Hinter den beiden tauchte der Türsteher auf.
»Jaja, schon gut! Ich kann mir auch nicht erklären, wieso hier scheinbar alle Sicherungen gleichzeitig rausgeflogen sind«, brummte der bullige Typ. Ich sah mich hastig nach Jonathan um, der zu einer Salzsäule erstarrt im stockfinsteren Gang stand. Er war geliefert. Außer, jemand verhinderte, dass das Licht anging …
Geschmeidig sprang ich nach vorne, gerade als die Uniformierten zur Seite traten, um den Türsteher zum Sicherungskasten durchzulassen. In der Dunkelheit konnte keiner von ihnen die Hand vor Augen sehen, geschweige denn eine Katze vor den Füßen. Ich kauerte mich zusammen, und prompt stolperte der Mann über meinen pelzigen Körper. Ich bekam dabei einen ordentlichen Tritt in die Rippen, aber immerhin hatte ich es geschafft, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Fluchend und mit den Armen rudernd prallte er gegen eine der Polizistinnen, die dadurch ebenfalls ins Taumeln geriet und sich haltsuchend an ihrer Kollegin festklammerte.
Das Chaos ausnutzend, rannte ich den Gang entlang in die entgegengesetzte Richtung, in der Hoffnung, am anderen Ende vielleicht doch noch einen Ausgang zu finden, aber dort war nur die blanke Wand. Ich drehte den Kopf und sah Jonathan, der erneut vergeblich an der Klinke der verschlossenen Tür rüttelte und schließlich in ohnmächtiger Wut den schwach glimmenden Kiesel aus dem Zwergenreich dagegenschleuderte.
In dem Moment, da der Stein das Türblatt berührte, loderte er für den Bruchteil einer Sekunde heller, und die Tür schwang auf. Obwohl Jonathan genauso verblüfft war wie ich, reagierte er blitzschnell und schlüpfte durch den schmalen Spalt. »Emma«, flüsterte er kaum hörbar, während er rasch den magischen Kiesel vom Boden aufhob. Ich drehte um und schlitterte in fliegender Hast den Gang entlang, doch zu spät. Die Tür schloss sich hinter Jonathan, gleichzeitig sprangen mit einem elektrischen Summen die Neonröhren an, und ich kniff geblendet von dem hellen Licht erst einmal die Augen zu.
»Was macht eine Katze in Ihrem Club, und wieso liegen hier ein Kleid und ein Paar Schuhe auf dem Boden?«, hörte ich eine der Polizistinnen fragen.
»Keine Ahnung! Aber die Leute kommen manchmal auf die verrücktesten Ideen. Vielleicht hat einer der Gäste sein Haustier reingeschmuggelt! Aber das werden wir gleich haben«, hörte ich den Gorilla sagen, und bevor ich noch reagieren konnte, hatte er mich bereits im Nacken gepackt. Ich fauchte und zappelte, doch es half nichts. Wehrlos hing ich in seinem Klammergriff. Entschlossen trug er mich zu der Tür, durch die soeben auch Jonathan verschwunden war.
»Komisch, die ist normalerweise doch immer verschlossen«, wunderte sich der bullige Mann und musterte irritiert den klaffenden Türspalt.
»Wohin führt denn diese Tür?«, fragte die eine Uniformierte.
»Zu unserem Getränkelager und von dort über die
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