Die gestohlene Zeit
Kellertreppe nach draußen. Das ist unser Lieferanteneingang«, antwortete der Gefragte, und trotz seines unangenehmen Nackengriffs atmete ich auf. Also müsste Jonathan die Flucht gelungen sein. Und offenbar drohte auch mir keine Gefahr, denn der Türsteher schleppte mich lediglich durch den Lagerraum, in dem eine ähnlich kühlfeuchte Temperatur wie in Laurins Felsenhalle herrschte und der Geruch nach schalem Bier und säuerlichem Wein in der Luft lag, ehe er die ebenfalls unverschlossene Kellertür öffnete, die ins Freie führte. »und hier steckt der Schlüssel, verdammte Schlamperei«, schimpfte er. Dann erklomm er die Treppenstufen, bis er auf dem Gehweg an der Rückseite der Disko stand. Mit einem lässigen Schlenkern seines muskulösen Arms öffnete der Türsteher den Griff, mit dem er mich am Nackenfell gepackt hatte, und ich segelte einen Meter weit, ehe ich unversehrt auf allen vieren landete.
»Zutritt nur für scharfe Miezen auf zwei Beinen, also bleib das nächste Mal gefälligst zu Hause«, rief der bullige Mann mir lachend nach.
Sehr witzig, dachte ich und konnte es mir nicht verkneifen, den Kopf zu drehen und ihn zum Abschied anzufauchen.
Hoheitsvoll wollte ich anschließend davonstolzieren, da prallte ich beinahe gegen zwei Paar Männerbeine, von denen eins in teuren, glänzenden Loafern und das andere in schäbigen Turnschuhen steckte.
Ich blickte hoch und sah, zu wem sie gehörten: Meine zwei Erzfeinde standen an der Ecke.
»… und deswegen hat Claudia mich morgen zu einem Sonntagsausflug mit den Kindern verdonnert«, sagte Udo gerade mit genervtem Gesichtsausdruck. Während er eine dicke Zigarre paffte, qualmte Frank eine selbstgedrehte Zigarette, deren Rauch unangenehm in meiner empfindlichen Katzennase biss.
»Drecksvieh, pass doch auf«, brüllte Frank, als er mich erblickte, und seine glühende Zigarettenkippe sauste knapp neben meinem Kopf vorbei auf den Asphalt. Das war typisch für ihn, immer auf die Schwächsten.
Impulsiv holte ich aus und verpasste meinem Ex-Schüler mit ausgefahrenen Krallen einen gezielten Tatzenhieb in Höhe seiner Wade. »Das ist für deine Feigheit vor dreißig Jahren, du Mistkerl«, dachte ich. Dann flitzte ich los, verfolgt von Franks Flüchen. Dass Udo mir mit offenem Mund nachstarrte, registrierte ich nur am Rande und hatte es bereits vergessen, als ich um die nächste Ecke sauste.
Ich war noch keine fünfzig Meter gerannt, da entdeckte ich Jonathan, der hinter ein paar Papiercontainern in Deckung gegangen war.
»Emma! Bin ich froh, dass du unversehrt bist!«, rief er, und ich schmiegte mich an seine Beine. Gleich darauf fiel mir aber ein, warum wir überhaupt in diesen Club gewollt hatten. Auffordernd setzte ich meine Pfote auf Jonathans Turnschuh und miaute laut.
Überrascht sah er zu mir herunter, dann aber begriff er.
»Ich sollte ja das Gespräch zwischen den beiden Männern belauschen! Viel konnte ich nicht verstehen, denn die Musik war geradezu unerträglich laut. Aber ich hörte den Dünnen sagen, er habe jetzt genug davon, dass Udo, nur weil sich dieser ›verdammten Ring‹ in seinem Besitz befände, immer alles …«, Jonathan unterbrach sich und runzelte konzentriert die Stirn, »…
abgreifen
würde. Ja, so hat er es ausgedrückt. Und dann sagte er noch, Udo würde bald sein blaues Wunder erleben, wenn er ihn nicht in Zukunft mehr an seiner
Kohle
beteiligen würde. Was der dünne Mann allerdings damit meinte, blieb mir ein Rätsel. Ich dachte vielmehr, es gehe um Geld, und nicht darum, einen Ofen zu heizen.«
Ich musste lachen, und obwohl nur ein helles Miauen herauskam, bemerkte Jonathan es und runzelte die Stirn. Ich beschloss, ihm morgen einen Schnellkurs in der Sprache des dritten Jahrtausends zu verpassen.
Nun aber überlegte ich fieberhaft, ob wir mit diesen Informationen irgendetwas anfangen konnten, und kam zu dem Schluss: leider nein. Zwar war ich mir nun ganz sicher, dass Frank von den Zauberkräften des Rings wusste, aber Udo schien dessen Macht alleine für sich zu beanspruchen. Typisch. Uns würde wohl nichts anderes übrigbleiben, als noch einen Versuch zu starten, den Safe zu knacken. Vielleicht vergaß Udo irgendwann einmal, die Tresortür zu schließen. Und die Erde war eine Scheibe, ergänzte ich seufzend.
Gleich darauf schalt ich mich für meinen Pessimismus. Im Club vorhin hatte Jonathan ja auch Glück gehabt, und der Ausgang war unverschlossen gewesen … Bei diesem Gedanken stutzte ich. Vor meiner
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